Jahrzehnte lang wurde darum gerungen, der Fachpflege einen eigenen Kompetenz- und Aufgabenbereich verbindlich zuzuordnen. Nicht Hilfskräfte der Ärzte, sondern ein eigener Beruf: Das ist das, was die professionelle Pflege ausmacht. Prof. Dr. habil. Thomas Klie initiierte für die Vereinigung der Pflegenden in Bayern ein Fachgespräch zu diesem Thema. „Schon in den 90er Jahren, damals am Widerstand von Horst Seehofer als Gesundheitsminister und dem Freistaat Bayern gescheitert, war die Einführung von Vorbehaltsaufgaben auf der gesundheits- und pflegepolitischen Agenda“, sagte Klie.
Gerade in Coronazeiten haben die Pflegekräfte gezeigt, wie bedeutsam, unverzichtbar, aber auch eigenständig sie im Gesundheitswesen und in der Langzeitpflege agieren. § 4 Pflegeberufegesetz schreibt als Vorbehaltsaufgaben verbindlich fest: Die Steuerung des Pflegeprozesses mit Anamnese, Pflegeplanung und Evaluation – hier liegt der eigenständige Verantwortungsbereich der Fachpflege. „Nur was heißt das in der Klinik, in der es nach landläufiger Meinung keinen arztfreien Raum gibt?“, fragt der Gerontologe Klie. Was heißt das in der Langzeitpflege, wo durch strenge Qualitätsvorgaben das Qualitätsmanagement der Einrichtung die Fachpflege vielfach dominiert?
Der Bereich, in dem sich Pflege als eigene Profession entwickelt und sich immer wieder zu bewähren hat, ist die häusliche Pflege. Wie werden die Aufgaben der Fachpflege dort profiliert und leistungsrechtlich hinterlegt?
Dies sind einige der Fragen, um die das Fachgespräch der Vereinigung der Pflegenden in Bayern Ende Juni 2020 kreiste. Gemeinsam mit den Mitvertreter*innen von Pflegekammern und dem Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, wurde offen über Konzept, rechtliche Vorgaben und Wirklichkeit der Vorbehaltsaufgaben debattiert. Auch Fragen der Heilkundeübertragung auf Pflegekräfte standen auf der Agenda.
Professor Klie: „Immerhin hat § 5 a Infektionsschutzgesetz unter Coronavorzeichen die strikte Abgrenzung zwischen Heilkunde durch Ärzte und heilkundlichen Aufgaben, die Pflegekräfte wahrnehmen, durchlässig gemacht.“ Auch hier wurde im Gespräch, wie bei den Vorbehaltsaufgaben, selbstkritisch deutlich gemacht: Nicht alle Pflegekräfte folgen einem professionellen Selbstverständnis, das seinen Kern in dem Konzept der Vorbehaltsaufgaben findet, nicht alle Pflegefachpersonen, wie sie jetzt heißen, sind qualifikatorisch in der Lage, anspruchsvolle Heilkundeaufgaben im delegationsfähigen Bereich eigenständig zu übernehmen.
Nicht das Heldennarrativ, das in der Coronakrise gepflegt wurde, führt die Pflege in eine eigene und eigenständige Zukunft, schon gar nicht ein symbolischer Pflegebonus. Eine selbstkritische und selbstbewusste Selbstbehauptung: Das ist der Weg, der der Pflege eine eigenständige Zukunft aufweist. „Das Fachgespräch, an dem auch die deutsche Pflegeexpertin Elisabeth Beikirch teilnahm, war der Anfang einer dringlich weiterzuführenden Debatte“, schlussfolgert Thomas Klie.
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