Politik und Gesellschaft brauchen Koordinaten und ganz konkrete Vorschläge, um Entscheidungen zu treffen – weil sich Berufs- und Lebenswelten verändern, weil die Vernetzung die Welt komplexer und erklärungsbedürftiger macht, weil Interessen und Möglichkeiten klug abgewogen werden müssen. An der EH Freiburg ist dieser Transfergedanke besonders wichtig: Das Gestalten des Sozialen ist ihr Auftrag, also das Verbessern von Lebenslagen in unserer Gesellschaft. Die Wissenschaftler*innen bringen sich auch außerhalb der Hochschule ein – durch Aktivitäten, die über Forschung und Lehre hinausgehen: Third Mission.
Was heißt das alles für die Menschen, die hier an der EH Freiburg lehren und forschen und darüber hinaus als Wissenschaftler*innen mit der Gesellschaft in Wechselwirkung treten? Das wollte auch die Hochschule wissen. Deshalb hat sie ihre Dozierenden im Winter 2023 befragt: 27 von insgesamt 35 haben an einer Online-Befragung zu Aktivitäten im Bereich Third Mission teilgenommen. Dazu zählen Weiterbildung, Transfer und gesellschaftliches Engagement, beispielsweise Workshops mit Praktiker*innen, Veröffentlichungen für ein breites Publikum und Vereinsarbeit. Vier von fünf Befragten waren 2021 bis 2023 in irgendeiner Form mit Third Mission beschäftigt. „Formalisierte Aktivitäten wissenschaftlicher Beratung zur Unterstützung wissenschaftsbasierter Entscheidungen“ gehörten für 70 Prozent der Befragten zum Alltag. Der Bericht konkretisiert: „Dies zeigt sich zumeist durch gutachterliche Funktionen, Teilnahme an Arbeitskreisen und Verfassen von Stellungnahmen (zum Beispiel für das Bundesverfassungsgericht, Kultusministerien auf Länderebene, die EKD oder in Form von Positionspapieren), Angebote an Expert*innen-Workshops von Bundesministerien, Aktivitäten in Fachgesellschaften wie DGSA (Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit) und DGfE (Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft) oder Beratung von NGOs.“ Einige Dozierende sind außerdem Mitglied in Expert*innengruppen und moderieren zum Beispiel Fachgespräche oder Ausschüsse.
Drei Professor*innen der Hochschule stellen jeweils ein Beispiel ihrer Tätigkeit in Gremien ausserhalb der Hochschule vor.
Georg Wagensommer – Professor für Religionspädagogik, im Landesschulbeirat von Baden-Württemberg
„Der Landesschulbeirat war das erste Beratungsgremium des Kultusministeriums, letztes Jahr wurde das 50-jährige Jubiläum begangen. Ich bin erstmals dabei, als einer von zwei Köpfen für die HAW in Baden-Württemberg: Andrea Dietzsch von der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg ist die Erstberufene, ich bin ihr Stellvertreter. Berufen wurden wir und die anderen für die Amtsperiode August 2023 bis Juli 2026. Meine Tätigkeit ist – wie die aller Mitglieder seit jeher – ehrenamtlich. Das Gremium berät das Kultusministerium zur grundsätzlichen Ausrichtung des Schulwesens, macht Vorschläge und regt zu Reformen an. Geeignete Mitglieder kommen aus den Hochschulleitungen oder sind Professor*innen, die sich besonders mit dem Übergang von der Schule zur Hochschule auskennen. Aufgrund meines Profils kann ich hier gute Impulse einbringen. In den Sitzungen in Stuttgart erarbeiten wir Stellungnahmen verschiedenster Art: zu Schulgesetzänderungen, zur Schulartenentwicklung und zur Bildungsplanarbeit, zu Erlassen, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften, geplanten Verwaltungsreformen und Personalentwicklungskonzepten. Wir verfassen auch spezielle Arbeitspapiere zu Grundschulen, Gemeinschaftsschulen oder Gymnasien. Die differenzierten Perspektiven, die der Beirat zur Bildungsarbeit einnimmt, sind für das Kultusministeriumwert voll. Die Studiengänge der EH Freiburg profitieren von diesen Verbindungen in die Politik und Praxis und vom Austausch im Gremium.
Isabelle Ihring – Professorin für Soziale Arbeit und Expertin für Rassismus und Kolonialismus, im Expert*innen-Rat Antirassismus der Bundesregierung
„Der Expert*innen-Rat Antirassismus wurde im Juni 2023 ins Leben gerufen. Staatsministerin Reem Alabali-Radovan hatdie Mitglieder als Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus berufen. Von unserer Arbeit erhoffe ich mir, dass wir deutlich machen können: Rassismus ist ein strukturelles Problem mit einer jahrhundertealten Geschichte. Die Idee der weißen Überlegenheit hat ihre Ursprünge im Kolonialismus und wirkt bis heute macht- und gewaltvoll nach. Im Dezember 2023 haben wir aus ganz Deutschland Menschen aus Migrant*innenorganisationen und Betroffeneninitiativen zu einem Hearing eingeladen. Wir wollten erfahren, wo und wie sie Rassismus in der Verwaltung erleben, ob es Gesetze, Verfahren und Prozesse gibt, die aus ihrer Sicht rassistische Effekte entfalten. Solche Perspektiven fließen in unsere Arbeit ein, zum Beispiel in eine Definition von institutionellem Rassismus, die Verwaltungen dann nutzen können. Außerdem arbeiten wir an Indikatoren für eine kritische Überprüfung der politischen Maßnahmen gegen Rassismus und an Empfehlungen für zukünftige Initiativen und Gesetze.“
Dirk Oesselmann – Professor für Religionspädagogik und Beauftragter für Internationalisierung, im Unterausschuss Theologische Ausbildung der Evangelischen Mission Weltweit (EMW)
„Das Gremium tagt zweimal im Jahr. Dabei werden 15 bis 20 Projektanträge zur finanziellen Unterstützung theologisch-ökumenischer Bildungseinrichtungen im Globalen Süden besprochen und entschieden. Außerdem diskutieren wir allgemeine Tendenzen in Kirchen weltweit. Seit 2022 bin ich der Vorsitzende. Ich gehöre diesem Ausschuss allerdings schon seit 2016 an und bringe meine Expertise in der ökumenischen theologisch-diakonischen Bildung und Erfahrungen aus Lateinamerika ein. Für die EH Freiburg ist das Gremium wichtig, weil wir darüber Kontakte zu internationalen Ausbildungseinrichtungen herstellen können, die für den zukünftigen Bachelor-Studiengang Religion und Soziales in internationalen und interkulturellen Kontexten von grundlegender Bedeutung sind. Wertvoll ist auch der direkte Draht zum Bereich ,Ecumenical Theological Education‘ vom Ökumenischen Rat der Kirchen.“
- Artikel im Hochschulmagazin ev.olve: Gefragte Expertise: Der Sinn politischer Gremienarbeit
- Transfer von Forschung und Wissen durch die Wissenschaftler*innen der EH Freiburg