Prof.in Dr.in Gunda Wössner befasst sich seit vielen Jahren mit Sexualdelinquenz aus Perspektiven von Forschung, Lehre und als Gutachterin. Dazu gehört für sie Kinder- und Jugendpornografie und das sogenannte „Grooming“, also die Anbahnung von Kontakten zu – meist – Minderjährigen in sozialen Netzwerken zum Zwecke möglicher sexueller Übergriffe. In diesem Zusammenhang ist auch „Sexting“ eines ihrer Themen, kurz: die Nutzung digitaler Medien durch Jugendliche zum Versenden von zum Beispiel eigenen Nacktaufnahmen.
Die Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e. V., Landesgruppe Baden-Württemberg, wurde Ende September 2024 an der Evangelischen Hochschule Freiburg ausgerichtet. Thema der Tagung war „Sexting“ und Gunda Wössner hat sie eröffnet. Wössner: „Die Digitalisierung hat nicht nur unsere Kommunikationsformen grundlegend verändert. Sie beeinflusst auch erheblich die jüngeren Generationen in ihrer Sexualentwicklung und ihrem Sexualverhalten.“ Zur Jahrestagung kamen Fachleute aus den Bereichen der Sozialpädagogik, der Sozialen Arbeit, der Jurisprudenz und der Polizei zusammen, um diesen Trend kritisch zu hinterfragen und zu diskutieren, wie man diese Entwicklung in einen angemessenen pädagogischen sowie rechtlichen Rahmen fassen kann, der der Lebensrealität der jungen Menschen von heute gerecht wird und gleichzeitig ihren Schutz gewährleistet.
Sexting hat heute eine gewisse Normalität erreicht. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass zwischen 10 und 30 Prozent der Jugendlichen bereits Erfahrungen mit dem Versenden oder Empfangen entsprechender Inhalte gemacht haben, bei älteren Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren liegt die Prävalenz sogar über 30 Prozent. Jugendliche beteiligen sich an Sexting aus unterschiedlichen Gründen. Häufige Motive sind Ausprobieren im Rahmen der sexuellen Entwicklung, die heute auch bestimmt ist durch das „Sich-Bewegen-in-sozialen-Medien“, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst- und Körperbild, die Neugier auf oder über sexuelle Selbstdarstellung, der Wunsch nach Anerkennung und Bestätigung oder auch der Ausdruck von Zuneigung in einer Beziehung.
Gunda Wössner: „Auch sozialer Druck und die Angst vor Ausgrenzung und Ablehnung können ein Motiv sein.“ Die Psychologin weist aber auch darauf hin, dass die Mehrheit der im gegenseitigen Einverständnis der Jugendlichen verschickten „sexy pics“ ohne schädliche Folgen bleibt. Dies würde durch den Fokus auf negative Konsequenzen in der Diskussion um Sexting häufig vergessen. Trotzdem befindet sich „Sexting“ in einem Spannungsfeld von „gefahrloser“ Normalität und den mit „Sexting“ möglicherweise verbundenen erheblichen Risiken, die vielen Jugendlichen nicht vollständig bekannt sind. Ein zentrales Risiko ist die unfreiwillige Weiterverbreitung der Inhalte. Studien zufolge haben etwa 10 Prozent der Jugendlichen schon einmal erlebt, dass ihre privaten, sexuellen Bilder oder Nachrichten ohne ihre Zustimmung weitergeleitet wurden. Dies kann zu Cybermobbing, Rufschädigung und schwerwiegenden psychischen Folgen wie Depressionen oder Angstzuständen führen, bis hin zu Suizidalität. In Einzelfällen sind die Auswirkungen so gravierend, dass sich Betroffene und ihre Familien sogar für einen Wegzug aus ihrem bisherigen sozialen Umfeld entscheiden. Häufig bleiben angemessene Reaktionen von Lehrkräften und der Schulleitung aus.
Ein weiteres Risiko ist, dass sich Jugendliche strafbar machen. Das Erstellen und Weiterleiten von sexuellen Darstellungen Minderjähriger könne als Kinderpornografie eingestuft werden, so Wössner. Dies sei vielen Jugendlichen nicht präsent und es könne zu gravierenden rechtlichen Konsequenzen führen, ergänzt die Psychologieprofessorin. Die strafrechtliche Verfolgung von Minderjährigen wegen Straftatbeständen, die mit Sexting zu tun haben, ist ein besonders heikles Thema, das ebenfalls auf der Jahrestagung diskutiert wurde.
Zur Person
Prof.in Dr.in Gunda Wössner ist Professorin für Allgemeine Psychologie und Klinische Psychologie. Sie ist Mitglied im Promotionszentrum BW-CAR des Promotionsverbands der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften Baden-Württemberg. Neben ihrem klinischen Schwerpunkt hat Gunda Wössner als Fachpsychologin für Rechtspsychologie BDP/DGPs einen kriminologisch-forensischen Fokus. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen insbesondere im Bereich der Sexual- und Gewaltkriminalität. Sie befasst sich zum einen mit der empirischen Erforschung von Bedingungsfaktoren von Sexual- und Gewaltkriminalität sowie des Rückfallverhaltens von – wegen Sexual- und Gewaltstraftaten – Verurteilten. Zum anderen beschäftigt sie sich mit viktimologischen Aspekten von genderbasierter Gewalt.