
„Das Wissen von Betroffenen ist notwendig, um rechte Gewalt richtig erkennen und einordnen zu können“, sagt Prof.in Dr.in Gesa Köbberling von der Evangelischen Hochschule Freiburg. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftler*innen hat sie sich mit verschiedenen Aspekten rechter Gewalt im Raum Brandenburg befasst, Herausforderungen diskutiert sowie Fälle dokumentiert und eingeordnet.
Noch immer werde die Realität rechter Gewalt allzu schnell verharmlost, verdrängt und unsichtbar gemacht, führt Köbberling aus.
Sie beantwortet im Folgenden Fragen zum Thema:
Sie sagen, die Perspektive der Betroffenen sei wichtig für das qualitative Verständnis rechter Gewalt – können Sie das erläutern?
Köbberling: Körperliche Gewalt wird von Betroffenen oft als existenzieller Einschnitt erlebt, der die Wahrnehmung auch alltäglicher Erfahrungen von Abwertung und Anfeindung verändert. Die volle Dimension der Gewalt ergibt sich aus dem Zusammenspiel mit den verschiedenen Intensitäten und nicht zuletzt mit den Reaktionen von Zeug*innen und Gesellschaft auf die erfahrene Gewalt. So berichtet eine Betroffene in einem dokumentierten, anonymisierten Interview: Als sie in einer vollbesetzten Straßenbahn aufgrund ihres Kopftuches rassistisch beschimpft und tätlich angegriffen wurde, habe nur eine Person reagiert und eingegriffen. Das Wegschauen aller anderen Zeugen erlebte sie als wesentlichen Bestandteil der Gewalt. Auch nach den Taten beschreiben Betroffene ein bedrückendes Schweigen über die Gewalt, Empathielosigkeit und Ignoranz. Das Wissen um die reale Möglichkeit manifester bis hin zu tödlicher Gewalt und das Gefühl von Betroffenen, mit ihrer Erfahrung allein zu sein und keine Resonanz oder Hilfe zu bekommen, ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich in Orten eine bedrohliche rechte Dominanz aufbauen kann.
Warum steht gerade Brandenburg bei Ihrer Analyse rechter Gewalt im Fokus?
Brandenburg wurde bereits in den frühen 1990ern überregional bekannt für seine ausgesprochen gewalttätige rechte Szene. Rechte Gewalt gehört noch immer zur Wirklichkeit des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Brandenburg und fordert Institutionen, Forschung und Zivilgesellschaft immer wieder von Neuem heraus. Die starke Präsenz, die rechte Gewalt in Brandenburg hatte und hat, hat zugleich zu Strukturen geführt, die sich mit dem Phänomen seit vielen Jahren beschäftigen.
Können Sie ein Beispiel für diese ‚Strukturen‘ nennen?
Köbberling: Ja, zum Beispiel die zivilgesellschaftliche Organisation ‚Opferperspektive‘. Durch solche Organisationen, durch politische Aufmerksamkeit und wissenschaftliche Beschäftigung gibt es zu Brandenburg eine besondere Expertise in Bezug auf das Verständnis und mögliche Umgangsstrategien mit rechter Gewalt. So leistet die ‚Opferperspektive‘ seit über 20 Jahren ein systematisches Monitoring von Gewalttaten, und ergänzt dadurch die polizeiliche Erfassung. Die Quellenlage ist in Brandenburg vergleichsweise gut. Auf dieser Grundlage sind Erkenntnisse über Dynamiken, Entstehungskontexte und Wirkungsweisen von rechter Gewalt möglich geworden, die auch ausserhalb des Bundeslandes Brandenburg anwendbar sind.
Gesa Köbberling ist seit September 2016 Professorin für Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Gestaltung des Zusammenlebens in der Migrationsgesellschaft und Beauftragte für die Belange Geflüchteter an der Evangelischen Hochschule Freiburg. Im März 2019 hat sie die Leitung des Bachelor-Studiengangs Soziale Arbeit übernommen.
Köbberling hat ihre Analysen zu rechter Gewalt in Brandenburg im Rahmen eines Podiumsgesprächs am 7. November 2023 in Potsdam vorgestellt. Köbberling ist zudem Mitherausgeberin des Sammelbandes „Rechte Gewalt – aktuelle Analysen und zeithistorische Perspektiven auf das Land Brandenburg“ in der Reihe „Potsdamer Beiträge zur Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung“. Die Reihe wird von der Emil Julius Grumbel Forschungsstelle des Moses Mendelssohn Zentrums an der Universität Potsdam herausgegeben.
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Fotos
Podiumsgespräch: v.li. Manja Präkels, Gideon Botsch (Moses Mendelssohn Zentrum – MMZ), Gesa Köbberling
andere Fotos: Gesa Köbberling am Rednerpult, 07.11.2023
alle Fotos: MMZ Potsdam