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Lehre und KI: Werkzeug mit Potenzial?

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Als Stefanie Engler vor knapp vier Jahren zum 1. September 2020 an die EH Freiburg berufen wurde, wütete die Corona-Pandemie bereits weltweit. Die Pandemie wirkte sich auch auf den Hochschulbetrieb aus: Die Digitalisierung der Lehre wurde unverzichtbar und nahm an Geschwindigkeit auf. Seit 2021 ist Engler Prorektorin für Lehre und damit gehört das Weiterentwickeln anspruchsvoller Lehre digital und in Präsenz zu ihrer Agenda.

Wer nach einem universell einsetzbaren Multifunktionstool für die Lehre sucht, wird es nicht finden. Auch wenn wir heute E-Learning-Plattformen vielseitiger einsetzen als vor rund zehn Jahren und uns mit KI wie ChatGPT auseinandersetzen müssen, kommt es immer noch stark auf die eigene Haltung zum Lehren an. Auf geplante Lern- und Kompetenzziele, auf sinnvolle Didaktik.

Wenn ich es wichtig finde, zu Beginn eines Seminars eine gute Lernatmosphäre aufzubauen, muss ich das im digitalen Raum genauso machen wie im analogen. Wenn ich Studierende dazu ermutigen möchte, sich zu äußern, kann ich das im virtuellen Raum genauso machen wie im echten Raum. Wir reden also eher über einen Werkzeugkasten mit analogen und digitalen Tools, den wir befüllen und aus dem wir uns bedienen.

Ich habe ein Lehrverständnis, das stark auf selbstbestimmte und sich selbst organisierende Lernende setzt. Die Studierenden sollen mitdenken und mitbestimmen, wenn es darum geht: Welche Ziele und Schwerpunkte setzen wir in einer Lehrveranstaltung, aber auch insgesamt an der Hochschule? Das hat sicher damit zu tun, dass ich aus der Sozialen Arbeit und der Bildungsarbeit mit älteren Menschen komme, denn das ist ein Bereich, in dem freiwillig Engagierte und selbstständig Lernende sehr präsent sind. Jedenfalls ist das ein Ansatz, bei dem uns das Digitale sehr unterstützt. Ich kann deutschlandweit Expert*innen einbeziehen, auf unserer Lernplattform Ilias einen flexiblen Materialpool aufbauen und neben Texten auch Podcasts oder Videos einbinden. Die Studierenden können in ihrem Tempo lernen, allein oder in Gruppen, können selbst entscheiden, was sie wie intensiv nutzen.

Mit Plattformen wie Ilias, Stud.IP oder Moodle arbeiten wir seit vielen Jahren. Das hat sich bewährt, aber auch verändert. Zunächst waren sie mehr Datenlager, wo das Skript als PDF abgelegt wurde. Inzwischen haben wir eine ganz andere Form der Digitalität: Wir nutzen Chats und Foren für die Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrenden, auch für Feedback und legen Selbstlernmodule an. Begleitende Studienleistungen können über Ilias eingereicht werden. Studierende können flexibler und unabhängig von einem starren Stundenplan lernen.

Vor allem unsere konsekutiven Master als Teilzeitstudium sowie die weiterbildenden Master-Studiengänge sind zum Beispiel primär für Berufstätige gedacht, die nicht immer in Präsenz teilnehmen können und daher andere Lernformen brauchen. Auch für Personen mit Care-Aufgaben passen sie. Biete ich mehrere Lernpfade an, kann meine Lehre also mehr Menschen erreichen, Menschen mit unterschiedlichen Interessen und Bedarfen. Und das gilt für die gesamte Hochschule: Sie wird so für alle zugänglicher. Gerade für die Neu- und Weiterentwicklung von Studiengängen und Fortbildungen ist das ein wesentlicher Punkt.

Wie die Verbindung von Präsenz- und Onlinelehre funktionieren kann und wie Blended Learning zu denken ist, darüber haben wir schon lange vor Corona nachgedacht. Noch vor fünf Jahren konnten wir uns vieles, was heute Realität ist, so nicht vorstellen. So ähnlich gilt das auch für Videokonferenzen. Skype, Zoom und ähnliche Tools nutzen wir ja schon seit vielen Jahren, zunächst nur privat. Mittlerweile steht im Fokus: Welche Werkzeuge passen zu welchen Inhalten und Lernzielen? Wie gestalte ich das Seminar abwechslungsreich, wann sind kreative Elemente geeignet? Ich kann Inhalte leichter dokumentieren, da sind wir wieder bei der Flexibilisierung. Und ich kann mit kooperativen Aufgaben Beziehungen anregen, da sind wir wieder bei der Lernatmosphäre.

Einmal die Videovorlesung für die Konserve produzieren, dann habe ich danach weniger Arbeit? Diese Rechnung stimmt so nicht.

Stefanie Engler

Wir haben während der Pandemie unglaublich viel gelernt und uns als Hochschule viele digitale Werkzeuge erarbeitet. Der Aufwand, digitale Lehre zu entwickeln, ist jedoch gewachsen. Digital geht nicht automatisch schneller. Einmal die Videovorlesung für die Konserve produzieren, dann habe ich danach weniger Arbeit? Diese Rechnung stimmt so nicht. Wir sehen das besonders bei der synchronen hybriden Lehre mit zugeschalteten Onlineteilnehmer*innen während einer Präsenzveranstaltung. Ich überprüfe das aktuell im Rahmen unserer virtuellen Lehrkooperation „Beziehungsarbeit im digitalen Raum“ (BediRa). Hier arbeiten fünf SAGE-Hochschulen zusammen, öffnen ihre Veranstaltungen für die Studierenden der Partnerhochschulen und erweitern damit das Spektrum der Veranstaltungen, bereichern den Austausch und die Perspektiven. Über die Raummikrofone und die 360°-Kamera können auch Studierende aus Dresden oder Berlin partizipieren. Aber das ist für mich als Lehrende anstrengender und anspruchsvoller: Nur wenn die Didaktik stimmt und die Technik gut ist, profitieren alle.

Ein Thema wie Suizid im Alter möchte ich nicht einer künstlichen Intelligenz als Lerncoach anvertrauen.

Stefanie Engler

Die Tools in meinem Werkzeugkasten erarbeite ich mir immer wieder neu, auch im Austausch in der Hochschule und weltweit – da muss ich einfach am Ball bleiben. Das eine ist vielleicht nicht mehr datenschutzkonform, das andere nicht mehr kostenfrei oder die Funktionen passen nicht mehr. Die laufende Auseinandersetzung mit den digitalen Möglichkeiten kann auch zu Frustration führen. Denn wir wollen uns ja vor allem auf inhaltliche Fragen konzentrieren.

An der EH Freiburg ist es relativ leicht, zum Beispiel neue Apps vorzustellen und Erfahrungen mit dem Rest des Kollegiums zu teilen – ein Vorteil einer kleinen Hochschule. Wir nutzen auch ein Förderprogramm des Bundesforschungsministeriums, das sogenannte „FH-Personal“. Für unser Konzept SocialPROFit haben wir 2020 den Zuschlag erhalten. Darin ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen enthalten, mit denen wir unsere Lehre auch digital entwickeln und uns selbst weiterbilden.

Ein Dauerthema ist, wie wir mit ChatGPT und anderen KI-Anwendungen umgehen. Wo müssen wir die Nutzung durch Studierende akzeptieren, wo begrenzen, wo ermöglichen? Wo müssen wir schulen und Kompetenzen vermitteln? Inzwischen gibt es erste KI-generierte Lernmodule. Mit der aktuellen ChatGPT-Version lassen sich Chatbots für die eigene Lehre erstellen. Doch ob das auch für unsere Inhalte bald Realität sein wird? Als Prorektorin für Lehre sehe ich auch die Probleme: Verzerrt ein Bias in den Trainingsdaten den Inhalt? Wer legt die Lernziele fest? Wer achtet auf die Qualität? Ein Thema wie Suizid im Alter möchte ich beispielsweise nicht einer künstlichen Intelligenz als Lerncoach anvertrauen.

Und wir sind nah dran an gesellschaftlich relevanten Themen.

Stefanie Engler

Es geht an HAW nie nur um die reine Wissensvermittlung, sondern auch um das Reflektieren und die praktische Anwendung. Als Lehrende haben wir diese doppelte Perspektive: Was brauchen die Lernenden, damit sie den Anforderungen im Studium begegnen können? Und was brauchen sie später im Beruf, zum Beispiel für eine datenschutzkonforme und kommunikativ gut gestaltete Onlineberatung in der Jugendhilfe oder zu Sucht?

Und wir sind nah dran an gesellschaftlich relevanten Themen. Wenn wir über Sexismus, Rassismus oder Ageismus diskutieren, habe ich meine Studierenden am liebsten in einem „echten“ Raum, so dass ich alle sehen, Reaktionen besser wahrnehmen und individuell auf sie eingehen kann. Das ist schließlich eine unserer besonderen Stärken.

Fragen der Ethik gehören ins Studium.

Stefanie Engler

Und es gibt noch eine andere Herausforderung: Wir gehen oft davon aus, dass alle Studierenden Digital Natives sind und die entsprechenden Medienkompetenzen mitbringen. Das ist aber nicht so. Durch KI verschärft sich das noch: Wer eine hohe Digitalkompetenz hat, lernt leichter zu prompten, lässt sich etwa Ideen und Texte generieren und baut seinen Vorsprung weiter aus.

Wer sich nicht mit KI beschäftigt, kennt auch die Tools nicht, mit denen sich etwa Schreibprozesse vereinfachen lassen. Die erforderlichen Kompetenzen wollen wir auch vermitteln, weil sie für das Studium und ebenso für die berufliche Arbeit unverzichtbar geworden sind. Für uns nicht minder wichtig: Fragen der Ethik, wie zum Beispiel der Schutz der Privatsphäre, gehören ins Studium.

Protokoll: Dirk Nordhoff, Fotos: Marc Doradzillo

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