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Gute Lehre heisst: für Wissenschaft begeistern

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Ein Gespräch mit Prof.in Dr.in Stefanie Engler

Stefanie Engler ist Prorektorin für Lehre an der EH Freiburg. Wie kam sie an die Hochschule? Welche Hürden gab es in ihrer wissenschaftlichen Karriere? Und was begeistert sie an der Hochschullehre?

Frau Engler, gibt es in Ihrer Berufsbiografie einen roten Faden? Ja, rückblickend ist es die Lehre. Oder eigentlich steht noch ein größeresThema dahinter: Wie kann ich Bildungsprozesse so gestalten, dass sie Menschen wirklich erreichen? Ich bin über verschiedene berufliche Stationen hinweg immer wieder auf diese Frage zurückgekommen. Dabei sind mir die unterschiedlichsten Lern-Zielgruppen begegnet. Es begeistert mich, Lernmöglichkeiten so zu gestalten, dass Menschen wirklich etwas für sich mitnehmen können. Denn dann entfaltet Bildung gesellschaftliche Wirkung.

Mit welchen Lern-Zielgruppen haben Sie bis jetzt gearbeitet? In meinem ersten Praxissemester als Sozialarbeitsstudentin habe ich zum Beispiel Bildungsarbeit mit älteren Menschen gemacht. Sie lernen meist freiwillig, sind interessiert, suchen den Austausch und wollen an das anknüpfen,was sie erlebt haben. Wenig später arbeitete ich mit langzeitarbeitslosen Jugendlichen. Da galt es, ganz basale Dinge zu vermitteln: Dreisatz, Alphabetisierung, Bewerbungstraining. Und dies mit einer Zielgruppe, die eben nicht freiwillig lernt, sondern vom Jobcenter oder der Agentur für Arbeit dazu verpflichtet wurde. In den letzten Jahren habe ich unter anderem im Rahmen von Weiterbildungen die Sachbearbeiter*innen einer Krankenkasse darin geschult, wie sie ihre Telefonberatung stärker am Menschen ausrichten können. Das sind nur drei Beispiele für sehr unterschiedliche Lern-Zielgruppen, mit denen ich arbeiten durfte. In erster Linie sind das natürlich Studierende im Rahmen der Hochschullehre!

Was macht Spaß an Hochschullehre? Die Besonderheit der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) in den Fächern im Sozial- und Gesundheitsbereich ist ja, dass wir nicht nur Wissen und Handwerkszeug vermitteln, sondern immer auch an den Fragen der persönlichen Haltung arbeiten. Das heißt, ich kann Menschen in der Entwicklung ihrer beruflichen Identität begleiten. Ich sehe vom ersten bis zum letzten Semester, wie sich Studierende entwickeln, ihren Weg finden, zwischendurch stolpern, aufstehen, nach dem Sinn des Ganzen suchen, durch die Praxis neue Impulse kriegen – und so formt sich eine professionelle Identität als Sozialarbeiter*in. Wenn ich dann meine ehemaligen Studierenden später in der Praxis erlebe oder in Forschungsprojekten wieder mit ihnen zusammenarbeite, sind das Momente, in denen ich genau weiß, warum ich tue, was ich tue.

Stefanie Engler mit Studierenden; Foto: Bernd Schumacher

Haben Sie ein Beispiel? Es gibt die unterschiedlichsten Motive für ein Studium. Doch die Allerwenigsten interessieren sich zu Beginn ihres Studiums für die Arbeit mit älteren Menschen. Sondern meist ist die Vorstellung: „Ich mache mal was mit Kindern und Jugendlichen.“ Für mich – als Wissenschaftlerin, die viel zur Lebensphase des Alters forscht – ist es immer besonders toll, wenn Studierende dieses bunte, vielseitige Arbeitsfeld für sich entdecken und zum Beispiel ein Praxissemester machen, auf das sie sonst nie gekommen wären. Ein anderes Beispiel sind Studierende, die sich das wissenschaftliche Schreiben und Denken nicht zutrauen oder skeptisch sind und dann – im Umgang mit Texten oder in der Diskussion – für sich darin doch eine Relevanz erkennen.

Das hat sicher viel mit Ihnen zu tun und damit, dass Sie selbst von Wissenschaft und zukunftsfähigen Konzepten für Soziale Arbeit so begeistert sind? Das hoffe ich! (lacht)

Die Besonderheit der HAW in den Fächern im Sozial- und Gesundheitsbereich ist, dass wir nicht nur Wissen und Handwerkszeug vermitteln, sondern immer auch an den Fragen der persönlichen Haltung arbeiten.

Stefanie Engler

Was muss man noch können, um diesen Job zu meistern? Lehre bringt immer ein hohes Adrenalin-Level mit sich. Wir sind jeden Tag mit unserer ganzen Persönlichkeit gefordert. An der HAW gilt das vielleicht noch mehr als an der Uni, weil wir durch unsere Praxiskompetenz immer auch berufliche Vorbilder sein können. Gleichzeitig müssen wir auch mal intervenieren, irritieren und das richtige Maß an Humor finden. Vor allem aber tragen wir dazu bei, dass Studierende erkennen, was die Themen auf dem Lehrplan mit ihnen selbst zu tun haben. Dabei ersparen wir niemandem, selbstständig zu denken. Die Studierenden setzen sich ab den ersten Wochen ihres Studiums mit einer Vielzahl an Vorlesungen, Texten und Aufgaben auseinander. Aber wir sind da – coachend, begleitend, mit Anregungen, Materialien, Hilfestellungen und mit didaktisch fundierten Konzepten, damit Studierende in der Auseinandersetzung wachsen und ihren Weg finden können. Durch unser hohes Betreuungsverhältnis von eins zu 25 können wir das auch leisten.

Hätten Sie zu Beginn Ihres Studiums gedacht, dass Sie selbst mal Professorin sein würden? Nein, und ich glaube, dass zu Beginn des Studiums fast niemand dieses Ziel vor Augen hat. Aber es gab bei mir diesen einen Moment, als ich eines meiner ersten Referate im Studium hielt und merkte: Es macht mir unglaublich Spaß, es so aufzubereiten, dass die Mitstudierenden anknüpfen, diskutieren und kritisch hinterfragen können – eben keine reine Wissensvermittlung! Eine Kommilitonin sagte dann: „Steffi, ich sehe dich mal als Professorin.“ Da bin ich erschrocken, weil das mit meinem Bild von mir selbst als angehender Sozialarbeiterin nicht zusammenpasste. Doch von da an war die Idee gesetzt, dass ich – als Frau, als angehende Sozialarbeiterin und als HAW-Studentin– diese Option ja wirklich habe.

Stefanie Engler mit Studierenden; Foto: Bernd Schumacher

Wie kam es, dass der Wunsch größer wurde? Ich bin nach meiner Diplomarbeit erst einmal in die Praxis gegangen und war im Leitungsteam eines Bildungszentrums für ältere Menschen. Parallel dazu studierte ich einen Masterstudiengang Soziale Arbeit, denn für mich war immer klar, dass gute Praxisentwicklung gute Theorie braucht. Dann wurde ich Forschungskoordinatorin an der Katholischen Hochschule Freiburg und konnte weiterhin einerseits Forschung mit Theorie verbinden, andererseits ganz praktisch und aktiv in der kommunalen und quartiersorientierten Arbeit Prozesse mitgestalten. Ich stieg dann in die Lehre ein und übernahm zwei Jahre lang eine Vertretungsprofessur. Spätestens da war für mich klar, dass es das ist, wofür ich brenne: In der Lehre zu verbinden, wie wir forschen und arbeiten, und Studierende dadurch auf ihren Weg zu bringen. Als HAW-Absolventin ist der Weg in die Promotion natürlich nicht so leicht vorgezeichnet. Es passiert schnell, dass man entweder in der Praxis oder in Forschungsprojekten irgendwie hängenbleibt, denn beides ist sehr arbeitsintensiv. Es gibt den Spruch, man sei da oft„too busy to think“.

Als HAW-Absolventin ist der Weg in die Promotion nicht so leicht vorgezeichnet.

Stefanie Engler

Was hat geholfen? Erstens fiel die Promotion mit der Erziehungszeit meines Sohnes zusammen. Mit seiner Geburt kam für mich der klare Entschluss, mich nicht treiben zu lassen, sondern meine Ziele jetzt anzugehen. Zweitens ein kooperatives Promotionskolleg, das die EH Freiburg zusammen mit den anderen Freiburger Hochschulen und der Universität Freiburg auf die Beine gestellt hatte. Es richtete sich gezielt an HAW-Absolvent*innen und war mit einem Stipendium verbunden. Das war für mich die größte Unterstützung, denn so war ich finanziell abgesichert, konnte Familie und Promotion verbinden und drei Jahre lang aus dem Alltag zurücktreten. Ich mag diese Momente: Wenn Reflexionspausen entstehen und man aus einer ganz anderen Warte heraus auf das schauen kann, was man tut. Das hat mir sehr geholfen.

Gab es etwas, das Sie in Ihrer Laufbahn zur Professorin überrascht hat?  Vielleicht, dass immer zur richtigen Zeit die richtige Tür aufging. So war zum Beispiel direkt nach meiner Promotion hier an der EH Freiburg eine Professur für Wissenschaft Soziale Arbeit ausgeschrieben, die ich besetzen konnte. Allerdings hingen solche „Zufälle“ in meinem Werdegang auch damit zusammen, dass ich die ganze Zeit über Kontakte hielt: in die Praxis und an den Hochschulen zu Forschungskolleg*innen. Das tue ich übrigens bis heute. Ich habe mich jahrelang noch bei meinem alten Arbeitgeber ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzende engagiert. Und ich hatte zu jedem Zeitpunkt einen Plan B in der Tasche: zum Beispiel meinen Radius zu erweitern, mich weiter weg auf eine Professur zu bewerben oder ins Weiterbildungsmanagement zu gehen.

Jetzt sind Sie Prorektorin für Lehre an der EH Freiburg – ein Amt, das 2021 erst neu eingerichtet wurde. Wie kam es dazu? Bis dahin gab es an der EH Freiburg zwar ein Prorektorat für Forschung und Transfer, aber die Aufgaben in der Lehre wurden über eine Beauftragung geregelt. Meine jetzige Funktion wurde entwickelt, um der Lehre einen höheren Stellenwert zu geben. Das gilt sowohl nach innen als auch nach außen: Mit dem Prorektorat können wir anders in politischen Gremien auf Landesebene mitwirken. Und für die Kolleg*innen in der Hochschule ist es ein Symbol und eine Wertschätzung dessen, dass wir die Lehre auf sehr hohem Niveau betreiben und uns an den Diskursen mit den anderen HAW im Land beteiligen. Außerdem ist das Prorektorat mit dem Ziel verbunden, die Qualität unserer Lehre noch stärker zu systematisieren.

Was sind die ersten Schritte? 2021 haben wir ein Qualitätshandbuch für Lehre entwickelt: Wo stehen wir? Welche Instrumente wenden wir schon an? Wo wollen wir hin? Jetzt geht es darum, das zu operationalisieren, also qualitätsfördernde Varianten und Strukturen für gute Lehre zu schaffen. Wir arbeiten zum Beispiel an aussagekräftigen Kennzahlen und wollen noch stärker in den Dialog gehen darüber, was unser gemeinsames Verständnis von guter Lehre ist und was es braucht, um Lehre weiterzuentwickeln. Und dann gab es noch kaum eine Zeit, in der Lehre so stark nach Innovationen gesucht hat wie jetzt nach den „Corona-Semestern“. Viele Kolleg*innen haben in der digitalen Lehre sehr schnell sehr viel Gutes auf die Beine gestellt. Wir haben gelernt, wie synchrone und asynchrone Onlinelehre gestaltet werden kann und welche Tools und Methoden es gibt, um Interaktion sicherzustellen. Wir waren aber alle auch froh, schließlich wieder in Präsenz lehren zu dürfen. Jetzt wollen wir gemeinsam herausfinden, wie wir den Lerneffekt sichern und was wir als neue Lernformate für die Studierenden beibehalten wollen. Denn in der Lehre geht es immer darum, einen wachen Blick für neue Methoden und Didaktik zu haben. Das Prorektorat für Lehre kann hierfür ein Beitrag sein, auch im Sinne von Fort- und Weiterbildung.

(Interview: Rebekka Sommer)

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