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Mein Weg: Constantin Hruschka

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Seit September 2024 ist Constantin Hruschka Professor für Sozialrecht an der Evangelischen Hochschule (EH) Freiburg. Er bringt eine beeindruckende Bandbreite an Erfahrungen mit, die vom Umgang mit Migrations- und Asylrecht über die Tätigkeit in internationalen Organisationen bis hin zur rechtswissenschaftlichen Forschung reicht. Im Gespräch wird schnell deutlich, dass sein Weg von Unabhängigkeit, Neugier und dem Mut, immer wieder neue Räume zu betreten, geprägt ist. Ein Porträt.

Es war nicht einfach, einen Gesprächstermin mit dem vielbeschäftigten Professor zu finden. Als wir miteinander sprechen, ist Constantin Hruschka gerade wieder in Bern angekommen. Dort lebt er mit seiner Familie. Die Grenzübertritte zwischen der Schweiz und Deutschland sind für ihn Alltag. „Für mich sind Grenzen kein Hindernis, sondern ein Lernraum“, sagt er. Das Grenzgängerdasein passt zu seiner Biografie – juristisch, beruflich und privat.

Mit dem Ruf an die EH Freiburg eröffnete sich für ihn ein neuer Raum. „Eigentlich wollte ich mich hier viel stärker den Themen Sozialrecht und Existenzsicherung widmen“, erzählt er. Doch das starke Interesse der Studierenden am Asyl- und Migrationsrecht sowie die gesellschaftliche Dringlichkeit dieses Themas führten dazu, dass es weiterhin einen großen Teil seiner Arbeit prägt. „Ich habe schnell gemerkt, dass es ein großes Bedürfnis gibt, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Die Studierenden nehmen das Thema äußerst engagiert auf. Sie wollen verstehen, wie Behörden funktionieren und wie das Recht Menschen schützt – oder eben nicht“, berichtet er.

Doch von vorne: „In der Schule mochte ich Geschichte am liebsten“, sagt Constantin Hruschka schmunzelnd, wenn man ihn nach seinen Interessen als Jugendlicher fragt. Aufgrund seines familiären Hintergrunds schien Jura der naheliegende Weg zu sein: Die Mutter war Richterin, der Vater Rechtsanwalt und der Patenonkel Juraprofessor. Trotzdem wollte Hruschka seinen eigenen Weg gehen. Neben Jura studierte er deshalb auch Geschichte und im Nebenfach Philosophie. In Geschichte schließt er seine Promotion ab. „Ich habe beruflich immer versucht, das zu machen, was mir Spaß macht“, beschreibt er seinen Antrieb.

Die Studierenden wollen verstehen, wie Behörden funktionieren und wie das Recht Menschen schützt – oder eben nicht.

Constantin Hruschka

Seine juristische Ausbildung führte ihn ins Ausland, immer neugierig auf andere Perspektiven und Rechtsverständnisse. Unter anderem verbrachte er als Erasmus-Student und mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) insgesamt zwei Jahre in Poitiers und Paris. Während des Referendariats zog es ihn nach London, wo er in einer auf Asylrecht spezialisierten Kanzlei arbeitete. Anfang der 2000er-Jahre galt Deutschland aus Sicht des britischen Rechts als unsicherer Staat, da die Asylverfahren schlecht liefen. „Diese Erfahrung war für mich prägend“, so Hruschka.

Nach dem zweiten Staatsexamen arbeitete Constantin Hruschka zunächst als Anwalt – ebenfalls im Asylrecht – in München und meldete gleichzeitig eine Habilitation in Rechtsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) an. Doch dann nahm seine Karriere eine andere Wendung: Er bewarb sich beim UNHCR, der Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen. „Als ich die Zusage bekam, wusste ich, dass eine klassische Universitätslaufbahn in Deutschland für mich nicht mehr möglich sein würde“, sagt Constantin Hruschka. Denn in Deutschland gilt: Wer als Jurist die Universität verlässt, um in die Praxis zu gehen, hat kaum noch Chancen auf eine Professur an einer juristischen Fakultät.

Mir war es immer wichtig, die Verbindung zwischen Praxis und Wissenschaft zu erhalten.

Constantin Hruschka

Zehn Jahre lang lernte er beim UNHCR die Arbeit zwischen politischem Pragmatismus und völkerrechtlicher Verantwortung aus nächster Nähe kennen. Parallel dazu übernahm er immer wieder Lehraufträge, unter anderem in Freiburg (Schweiz) und an der Universität Bielefeld. „Mir war es immer wichtig, die Verbindung zwischen Praxis und Wissenschaft zu erhalten.“ In dieser Zeit arbeitete er auch am ersten deutschsprachigen Kommentar zur Genfer Flüchtlingskonvention mit. Dann zog es Constantin Hruschka zu neuen Ufern weiter. Er wechselte zur Schweizerischen Flüchtlingshilfe, leitete dort die Abteilung „Protection“ und baute Beratungs- und Rechtsvertretungsstrukturen für Asylverfahren auf. Aus familiärenGründen kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München an einem Forschungsprojekt zu Migration, Integration und Exklusion. Danach wechselte er an das Bundesverwaltungsgericht der Schweiz. Dort schrieb er über hundert Entscheidungen im Asylbereich. „Das war eine intensive Zeit. Ich habe über das Schicksal von Menschen entschieden, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Das trägt man mit sich“, erzählt er.

Constantin Hruschka, Foto: Marc Doradzillo
Constantin Hruschka, Foto: Marc Doradzillo

Der Ruf an die EH Freiburg bot ihm die Möglichkeit, wieder in der Wissenschaft zu arbeiten. Seine berufliche Zeit in der Praxis ist an der Hochschule sehr gefragt, bis fünf Jahre Praxis außerhalb einer Hochschule sind sogar Bedingung für die Berufung. Er sieht seine Aufgabe vor allem darin, Strukturwissen zu vermitteln. Wie funktionieren Behörden? Was bedeutet Rechtsstaatlichkeit praktisch? „Viele Studierende und Fachkräfte haben punktuelles Wissen, aber ohne ein Verständnis der Systemlogik von Verwaltung und Rechtsstaat kann man in der Praxis kaum bestehen.“

Er vermittelt Recht deshalb nicht als abstrakte Sammlung von Paragrafen, sondern als lebendiges System mit ethischen und gesellschaftlichen Dimensionen. Seine Studierenden sollen nicht nur lernen, Paragrafen zu zitieren, sondern auch verstehen, dass Recht ein Instrument ist, um Gesellschaft zu gestalten. „Recht ist kein starres Korsett. Es ist ein Raum, den wir mit Haltung füllen müssen.“ Um dies zu erreichen, knüpft er regionale Netzwerke, beispielsweise mit Erstaufnahmestellen oder Freiburger Behörden, und nutzt seine nationalen Netzwerke wie die Refugee Law Clinic München, deren Beirat er angehört.

Hruschka möchte die EH Freiburg als einen Ort bekanntmachen, an dem sich Studierende besonders gut für den Migrations- und Sozialbereich qualifizieren können. Und er denkt interdisziplinär. „Rein juristisch kann ich vieles erklären, aber Menschlichkeit kann ich nicht verordnen. Dafür braucht es andere Perspektiven.“ Hierfür bieten der Austausch und die Zusammenarbeit mit seinen Kolleg*innen an der EH Freiburg vielfältige Möglichkeiten.

Auch Forschung bleibt ein zentraler Teil seiner Arbeit. Aktuell beschäftigt er sich mit Fragen der Rechtsumsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), die ab 2026 viele Veränderungen bringen wird. „Mich interessiert nicht nur, was im Gesetz steht, sondern wie Recht tatsächlich umgesetzt wird. Nicht auf dem Papier, sondern in der Lebensrealität der Menschen“, sagt er.

In der öffentlichen Debatte über Migration und Asylrecht wird Hruschka regelmäßig in nationalen und internationalen Medien als Experte angefragt. Ihm geht es nicht darum, lautstark seine Meinung kundzutun, sondern den juristischen Rahmen und menschenrechtliche Standards klar zu benennen. „Es gibt eine Grenze dessen, was juristisch vertretbar ist. Jenseits dieser Grenze wird es gefährlich – nicht nur für die Rechtsstaatlichkeit, sondern für die Gesellschaft insgesamt“, warnt er.

„Für mich sind Menschenrechte nicht verhandelbar. Das ist auch durch meine Familiengeschichte geprägt: Die Familie meines Vaters wurde aus Schlesien vertrieben, das Thema Flucht und die damit verbundenen Lebensverhältnisse waren familiär immer präsent. Existenzsicherung ist für mich ein Kernprinzip – rechtlich und ethisch.“ Diese Grundsätze verteidigt er auch in öffentlichen Diskussionen, ohne sich dabei parteipolitisch vereinnahmen zu lassen. Dabei bewegt er sich in einem Spannungsfeld: „Viele glauben, sie wüssten genauso viel wie jemand, der sich seit 20 Jahren auf vielfältige Weise mit diesen Fragestellungen beschäftigt“, sagt er. „Ich versuche immer, zwischen Meinung und Rechtsauffassung zu unterscheiden. Viele Aussagen sind keine Rechtsauffassungen, sondern Meinungen. Und manche sind nicht mehr vertretbar. Ich respektiere andere Meinungen, auch wenn ich sie rechtlich für falsch halte. Die Person dahinter bleibt trotzdem ein Mensch“, betont er.

Es gibt eine Grenze dessen,was juristisch vertretbar ist.

Constantin Hruschka

Constantin Hruschka schätzt es, dass die EH Freiburg ihm beste Voraussetzungen für sein Wirken bietet: Offenheit und ein stabiles ethisches Fundament. „Hier kann ich meine Prinzipien leben, meine Perspektiven einbringen und gleichzeitig viel Freiheit genießen“, sagt er.

Sie unterstützt ihn nicht nur in Forschung und Lehre, sondern auch hinsichtlich seiner medialen Präsenz. „Dass die EH Freiburg eine klare Haltung zu gesellschaftlichen Themen hat, stärkt mich in meiner Arbeit.“ Rückblickend würde er seinen Karriereweg nicht als strategisch bezeichnen. „Ich habe immer versucht, Dinge zu machen, die mich interessieren – und das ist heute noch so. Ich weiß, dass diese Möglichkeit ein großes Privileg ist.“ Seine Geschichte zeigt eindrucksvoll, dass eine wissenschaftliche Karriere, Praxisnähe und gesellschaftliches Engagement sich gegenseitig bereichern können. Und dass es nicht immer der gerade Weg ist, der zählt, sondern die Fähigkeit, offen, neugierig, gleichzeitig kritisch zu bleiben und die eigene Haltung nie aus den Augen zu verlieren.

(Protokoll: Melanie Geppert)

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