Gefängnisse sind ein Abbild der multiethnischen, multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft. Seelsorge in Deutschland muss sich daher multireligiös aufstellen. Die Evangelische Hochschule Freiburg hat den dringenden Handlungsbedarf erkannt und eine Qualifizierung für Seelsorgende unterschiedlicher Religionszugehörigkeit entwickelt. Rektorin Renate Kirchhoff: „Wir haben uns gemeinsam mit Vertreter*innen muslimischer, jüdischer und christlicher Institutionen und ebenso des Justizministeriums Baden-Württemberg zu den konkreten Bedarfen aber auch rechtlichen Rahmenbedingungen einer solchen Seelsorge auseinandergesetzt. Herausgekommen ist ein bundesweit neuartiges Angebot unsere Hochschule.“
Seelsorgende unterschiedlicher Religionszugehörigkeit werden gemeinsam in der Weiterbildung qualifiziert – das ist neu in Deutschland. Sie werden befähigt, die Religiosität ihrer Zielgruppen als Ressource zu nutzen: und zwar subjektorientiert, zum Wohle des Individuums wie der Gesellschaft. Alle Inhalte werden professionsübergreifend vermittelt, die Lehrenden und Praktiker*innen kommen aus den Bereichen der Justiz, Kriminologie sowie Gefängnisseelsorge und Theologie. Die Hochschule will mit dieser Weiterbildung auch Strukturen für die Vernetzung der seelsorglich Tätigen zugunsten der Menschen im Justizvollzugswesen aber auch zugunsten der Seelsorgenden schaffen.
Menschen im Justizvollzug bekommen in Deutschland das Angebot der Seelsorge: für ein persönliches Gespräch unter vier Augen. Seelsorge ist zweckfrei, das macht ihre besondere Qualität aus. Sie bietet Gefangenen eine Möglichkeit zur Reflexion und kann dadurch Lebenshilfe leisten. Diese Seelsorge spricht jedoch nicht nur Inhaftierte aller Religionen an, sondern auch ihre Angehörigen und die Bediensteten einer JVA.
„Die Kirchen haben hier einen besonderen Auftrag und auch eine besondere Kompetenz. Als Hochschule in kirchlicher Trägerschaft sind wir geradezu prädestiniert für diese Aufgabe“, erklärt Renate Kirchhoff.
Ein Beirat begleitet beratend die Hochschule bei Konzeption und Weiterentwicklung der Weiterbildung. In ihm kommen Vertreter*innen von Hochschulen und Universitäten, des Justizministeriums Baden-Württemberg, jüdischer und muslimischer Institutionen sowie christlicher Kirchen zusammen.
Das staatliche Interesse an der Seelsorge richtet sich u.a. darauf, im Strafvollzug integrativ zu wirken und das Recht auf Religionsausübung proaktiv auszugestalten. Die Konzeption der neuen Qualifizierung erfasst auch die Anforderungen der bundesdeutschen Justizministerien an eine interreligiöse Zusammenarbeit im Vollzug.
Der Inhalt der Weiterbildung umfasst Kontext und Praxis der Gefängnisseelsorge in drei Modulen. Das Modul A vermittelt Grundlagen der Strafjustiz, des Aufbaus und der Organisation des Gefängnisses, die rechtlichen Grundlagen des Strafvollzuges sowie der Seelsorge im Strafvollzug. Die Praxis, die Methoden und die Arbeitsweisen der Gefängnisseelsorge stehen in Modul B im Vordergrund. Neben einer Einführung in personenzentrierte Gesprächstechniken wird die Haltung und Rolle von Gefängnisseelsorger*innen reflektiert. Der Umgang mit Distanz und Nähe im Beziehungsaufbau und die Arbeit mit der eigenen Person werden eingeübt. Im Fokus stehen das Einzelgespräch, die Gruppenarbeit, kultische Handlungen wie Gottesdienste und Freitagsgebete, sowie die Arbeit mit Angehörigen von Gefangenen und mit Bediensteten des Justizvollzuges. Seelsorge als spirituelle Praxis und der Umgang mit Schuld, Strafe und Versöhnung in den verschiedenen Religionen werden reflektiert. Alternativen zum Strafvollzug und die Methode der „Restorative Justice“, die das Opfer, den Täter und die Gemeinschaft in die Suche nach Lösungen einbezieht, werden vorgestellt. In Modul C werden spezifische Fragen wie psychiatrische Auffälligkeiten oder der Umgang mit Suchterkrankungen behandelt. Die Rolle von Religionen in sozialen Konflikten und der Umgang mit religiös motiviertem Terrorismus ist ein weiterer Schwerpunkt in diesem Modulbereich.
Die ‚Interreligiöse Weiterbildung – Seelsorge im Justizvollzug‘ startet im Oktober 2024. Bewerbungen sind ab sofort möglich. Prof.in Dr.in Gunda Wössner leitet die neue Qualifizierung.