Silke Kaiser setzt sich aus unterschiedlichen Perspektiven für Chancengerechtigkeit ein – als Resilienzforscherin, als Professorin für Kindheitspädagogik, als Gleichstellungsbeauftragte der EH Freiburg. In ihrer beruflichen Biographie gibt es einen roten Faden: Menschen zu mehr Selbstwirksamkeit verhelfen. Ein Porträt.
Seit vier Jahren ist Silke Kaiser Professorin für Kindheitspädagogik an der Evangelischen Hochschule Freiburg. Vier Jahre sind auf einer Professur keine lange Zeit. Man muss sich einrichten, an die Gepflogenheiten der Hochschule anpassen, vielleicht die eigene Forschung neu ausrichten und mit Kolleg*innen oder bestehenden Projekten abgleichen. Silke Kaiser hat in dieser Zeit noch zusätzliche hochschulinterne Aufgaben geschultert: Sie war für den Fachbereich Pädagogik und Supervision in der Gleichstellungskommission. 2023 übernahm sie das einjährige Forschungsprojekt zu „Third Mission“ an der EH Freiburg, im Frühjahr 2024 die Leitung des Master-Studiengangs Bildung und Erziehung im Kindesalter.
Gleichstellungsbeauftragte ist sie seit März 2023. „Mir geht es darum, dass Chancengerechtigkeit an der Hochschule noch relevanter wird, dass Ungerechtigkeiten abgebaut werden. Ich möchte dafür die Prozesse der Hochschule tiefer verstehen und eigene Impulse für Veränderung setzen“, erklärt Silke Kaiser. Das Amt der Gleichstellungsbeauftragten ist gesetzlich vorgeschrieben. Gewählt werden können an der EH Freiburg nur hauptamtlich lehrende Professor*innen, was Silke Kaiser nicht ideal findet: „Professor*innen benoten Studierende. Das ist eine Machtasymmetrie und kann eine zusätzliche Hürde darstellen, wenn Studierende Beratungsbedarf haben oder Fälle sexualisierter Gewalt melden wollen.“
Trotzdem hält Kaiser die Gleichstellungsbeauftragung für ein geeignetes Werkzeug, um mehr Chancengleichheit an der Hochschule und in der Wissenschaft herzustellen. Die Rahmenbedingungen an der EH Freiburg seien gut. Hilfreich findet sie zum Beispiel die Gleichstellungskommission, in der sie verschiedene Perspektiven einholen kann. Diese besteht aus der Gleichstellungsbeauftragten, einer*m Professor*in aus jedemFachbereich und einer*m Studierenden.
Vor allem aber sind an der Hochschule die Wege kurz: wörtlich und im übertragenen Sinn: „Unser Rektorat hört sich an, was ich zu sagen habe. Wir gehen in den Diskurs und wägen gemeinsam Lösungen ab.“ Wertvoll sei auch die Vernetzung der EH Freiburg in der Landes- und Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen und im Verein „Familie in der Hochschule“.
Ich möchte Impulse für Veränderung setzen.
Als Gleichstellungsbeauftragte ist Silke Kaiser für Geschlechtergerechtigkeit und für Chancengleichheit zuständig. „Wenn zum Beispiel Studierende ihre Hausarbeit nicht fristgerecht abgeben können, weil sie ein Kind unter zehn Jahren versorgen, die Kita ihre Öffnungszeiten verkürzt, dann berate ich sie“, berichtet Kaiser. Eine Empfehlung von ihr kann dann sein, die Abgabefrist zu verlängern und das mit dem Prüfungsamtsleiter abzustimmen: „Das nimmt viel Druck von den Studierenden.“
Eine Anregung von Studierenden, die von der Hochschule auf Impuls von Kaiser umgesetzt wurde: Studierende können sich jetzt auf Antrag von den Studiengebühren befreien lassen, wenn sie Care-Aufgaben haben, etwa Angehörige wöchentlich wenigstens zehn Stunden pflegen. Kaiser nimmt auch an allen Berufungsverfahren teil, von der Ausschreibung bis zur Auswahlentscheidung – hier mit dem Fokus auf Geschlechtergerechtigkeit.
Kaisers großes Ziel: das Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt
Für ihre Amtszeit hat sich Silke Kaiser eine große Aufgabe der Hochschulentwicklung vorgenommen: ein umfassendes Schutzkonzept (s. S. 11). Sie hat einen Arbeitskreis gebildet, in dem alle Gruppen der Hochschule vertreten sind – Studierende, Professor*innen, wissenschaftlich Mitarbeitende und Mitglieder der Verwaltung. „Denn Partizipation und Mehrperspektivität sind Voraussetzungen dafür, Missbrauch fördernde Strukturen aufdecken zu können. Konsens ist dabei: Missbrauch gibt es potenziell in jeder Institution, also wahrscheinlich auch bei uns.“
Die Arbeit am Schutzkonzept ist ein logischer Schritt in Silke Kaisers beruflicher Laufbahn. Zum ersten Mal hatte sie mit dem Thema Gewalt, insbesondere sexualisierter Gewalt, während eines Praktikums vor ihrem Diplom-Studium der Sozialpädagogik zu tun. Dort musste sie sich auch mit Eltern und Täter*innen befassen. Das weckte bei ihr das Interesse an einer tieferen Auseinandersetzung mit der Gewaltproblematik. Nach dem Studium arbeitete sie als Gruppenleiterin in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Viele Kinder und Jugendliche dort hatten Missbrauch oder Gewalt erlebt.
Missbrauch gibt es potenziell in jeder Institution.
Sie engagierte sich als Erziehungsbeiständin, leitete später einen offenen Elterntreff im Bereich Frühe Beratung und Frühe Hilfen. Immer wieder war das Thema Gewalt in ganz unterschiedlichen Formen sehr präsent. Silke Kaiser wollte mehr Werkzeuge zur Hand haben, um Menschen auch in überfordernden Lebenssituationen kompetent unterstützen zu können.
Während des Studiums befasste sie sich mit personenzentrierter Beratung. Sie absolvierte Weiterbildungen in Gestalttherapie, später folgte eine Weiterbildung in Systemischer Beratung und Therapie. „Mir ging es immer um mehr Wissen und um eine Haltung, die Menschen zu mehr Selbstwirksamkeit verhilft“, betont Kaiser. Während ihrer Tätigkeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe beschäftigten sie Fragen, die sie nicht mehr losließen.
„Es gibt Kinder und Jugendliche, die sich mit relativer seelischer Gesundheit entwickeln – obwohl sie zum Beispiel sexuellen Missbrauch, körperliche und seelische Gewalt oder Drogensucht der Eltern erleben. Ich stellte mir die klassischen Fragen der Resilienzforschung: Welche Eigenschaften oder Fähigkeiten haben diese Kinder und Jugendlichen? Und kann man diese Kompetenzen fördern?“
2014 ging Silke Kaiser wieder in die Wissenschaft, promovierte 2019 an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd zur Resilienzförderung bei Kindern unter drei Jahren und arbeitete als Lehrbeauftragte für die DHBW Stuttgart. „Ich wollte mich vertieft mit den Fragen zur Resilienz auseinandersetzen und das an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Denn Lehre und Forschung sind mir wichtig, und der Praxistransfer ist mir auch ein großes Anliegen.“
2020 wurde Kaiser an die EH Freiburg berufen. Hier forscht die Professorin heute zu den Rahmenbedingungen des Aufwachsens von Kindern unter vierzehn Jahren: Das umfasst die Bedingungen in Kita, Schule – auch bei Ganztagseinrichtungen – und Familie; sie interessiert dabei, ob und wie hier unterstützende Beziehungen etwa durch Fachkräfte gestaltet werden können.
Wir wollen Studierende befähigen,etwas gesellschaftlich und politisch zu gestalten.
Ihre Studierenden der Kindheitspädagogik (Bachelor) hat sie im 6. Semester fragen lassen, welche Formen von Gewalt und Diskriminierung diese erleben. „Und die Kinder haben ihre Erfahrungen klar benannt. Die Ergebnisse haben die Studierenden an Schulleitung und Lehrende mit Handlungsempfehlungen zurückgegeben“, sagt Kaiser.
Für die Wissenschaftlerin Kaiser zählt die Politikberatung selbstverständlich zu ihren Aufgaben: „Wir können als Hochschule etwas bieten, beispielsweise für das Kultusministerium oder einzelne Abgeordnete, um unseren spezifischen Beitrag mit Forschung und Qualifikation von Fachkräften zu leisten.“ Als gefragte Referentin und Leiterin von Weiterbildungen für Fachkräfte vermittelt sie Kompetenzen zu seelischer Gesundheit und Resilienz, zu Transitionen im Kindesalter und weiteren pädagogischen Themen.
In die EH Freiburg bringe ich meine vielfältigen kindheitspädagogischen Kompetenzen ein, ebenso die aus der Resilienzförderung und zur Missbrauchsprävention.
Aus der Praxis kommen neue Fragen
Silke Kaiser bekommt auch Impulse aus Praxisseminaren, die fester Bestandteil des Studiums an der EH Freiburg sind. „Unsere Studierenden erleben ein sehr anspruchsvolles Berufsfeld: Es fehlen Fachkräfte, die Fluktuation ist hoch, Kinder oder Familien kämpfen mit Herausforderungen, zum Beispiel Fluchterfahrungen oder Armut, und Eltern haben erhöhten Beratungsbedarf. Entsprechend viele Fragen fließen in unsere Seminare ein.“
Im Frühjahr 2024 hat Kaiser die Leitung des Master-Studiengangs Bildung und Erziehung im Kindesalter übernommen. Sie lehrt im Master unter anderem im Wahlpflichtbereich „Didaktik und Methodik der Erwachsenenbildung im Bereich der Bildung, Betreuung und Erziehung im Feld der (Kindheits-)Pädagogik“. Hier qualifiziert sie die Studierenden in Didaktik und in anderen Kompetenzen, die sie als Lehrkräfte an Fachschulen oder in der Fort- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte brauchen.
Von Kaisers Praxiserfahrung profitieren die Studierenden im direkten Austausch: Sie erleben Kaiser als Role Model für Didaktik, beispielsweise wenn sie in der Praxis hospitieren und die Professorin Multiplikator*innen über das Zentrum für Kinder- und Jugendforschung an der Hochschule schult. Die Studierenden lernen beispielsweise auch, wie sie Unterrichtseinheiten selbst durchführen.
„Ich begleite die Studierenden dabei intervisorisch, so dass sie ihre Lehrtätigkeit theoriegestützt analysieren, verändern und sich so weiterentwickeln können“, sagt Kaiser. Die Master-Absolvent*innen gehen später in die Forschung, arbeiten als Lehrkräfte in Fachschulen, in der Beratung oder leiten Einrichtungen.
Das Ziel des Master-Studiengangs sieht Silke Kaiser nicht nur darin, Absolvent*innen das professionelle Rüstzeug für ihren zukünftigen Berufsweg zu geben. „Wir wollen sie auch befähigen, gesellschaftlich und politisch etwas zu gestalten, damit sich die Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, verbessern.“
Mit Blick auf ihre Laufbahn in Praxis und Wissenschaft ergänzt sie: „In die EH Freiburg bringe ich meine vielfältigen kindheitspädagogischen Kompetenzen ein, ebenso die aus der Resilienzförderung und zur Missbrauchsprävention. Und jetzt profitiere ich davon auch enorm für meine Gleichstellungsbeauftragung, ganz besonders für die Entwicklung des Schutzkonzepts der Hochschule.“
(Stefanie Hardick)
(alle Fotos: Marc Doradzillo)