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Raum der Stille – ein Andersraum

An der Evangelischen Hochschule Freiburg studieren und arbeiten Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und Weltanschauung. Ihnen möchte die Hochschule mit dem Raum der Stille eine Möglichkeit für spirituelle Praxis bieten. Sie können hier darüber ins Gespräch kommen, ihre Nutzungsgewohnheiten diskutieren, sie aushandeln. Das passt zur Evangelischen Hochschule. So entstehen Diskurse über die fachliche Relevanz von Religiosität, ergänzt von Fachkräften und Adressat*innen, durch alltägliche Anlässe zur Selbstreflexion und durch das Kennenlernen derer, die die Welt anders deuten als man selbst – auch innerhalb derselben Religion. Der Raum der Stille unterscheidet sich deutlich von den Arbeitsräumen der Hochschule – er soll ein „Andersraum“ sein. Er wird durch und für seinen konkreten Gebrauch definiert.

Die Ausstattung des Raums der Stille wurde unter der Leitung des Baureferats der Evangelischen Landeskirche in Baden ausgeschrieben. Die Künstlerin Bernadette Hörder, u.a. spezialisiert auf Kunst am Bau, stellte ihr Konzept von Tisch/ Altar, Pult/ Ambo und Sitzgelegenheiten im Rahmen einer Eröffnungsfeier im April 2024 vor. Ihr Entwurf wurde von einer Jury am 20.09.2023 beschlossen.

Anlässlich der Eröffnungsfeier sprachen Rektorin Prof.in Dr.in Renate Kirchhoff, Michael Gerstner, stellvertretende Leitung Kirchenbau, Leitung Landeskirchliche Gebäude, Evangelische Landeskirche in Baden, Valentina Merkle, Studierende im Bachelor Soziale Arbeit und Vertreterin des AStA. Bernadette Hörder stellte im Anschluss ihre Konzeption der Möbel vor. Abschließend fand im Raum der Stille eine Andacht mit Dr.in Ute Niethammer und Student Florian Selz statt.

Auszug aus der Begrüßung von Rektorin Renate Kirchhoff:

Einweihung – das ist ein offener Begriff, zumal wir keine Räume weihen. Aber: wir segnen Menschen, die ein- und ausgehen in den Räumen. Und das soll heute geschehen: auf dass die Nutzung des Raums der Stille Mitgliedern der Hochschule einen Ort bereit hält – das ist Raum und Zeit – , inne zu halten, das Normale zu unterbrechen. Zum Wohle aller, die ein und ausgehen und auch darüber hinaus. Denn grundsätzlich gilt: Wenn wir hier in der Hochschule unsere üblichen Abläufe unterbrechen, ist das heilsam auch für Menschen außerhalb der Hochschule, mit denen wir arbeiten oder in einem privaten Kontakt soziales Leben gestalten. Schon als die Sanierung des Stammgebäudes der EH Freiburg in Diskussion war – das war vor etwa 8 Jahren – haben wir einen Raum der Stille projektiert. Die staatlichen Hochschulen in Baden-Württemberg haben keine Pflicht, Räume für religiöse Praxis vorzuhalten. Für uns ist die Förderung spirituellen Lebens auf dem Campus eines unserer Markenzeichen. Und dafür hatten wir von Anfang an die Unterstützung des Evangelischen Oberkirchenrates. …

Spiritualität – verstanden als eine Praxis der Selbstüberschreitung und der Transzendenz – ist für die Praktizierenden nicht immer durch eine breite Zugehörigkeitspraxis zu einer der großen Kirchen unterlegt. Gleichzeitig ist eine eigene spirituelle Praxis eine hilfreiche Voraussetzung dafür, ahnen zu können, was Religiosität für Menschen bedeuten kann. Wer nie vor Glück, Dankbarkeit oder in der Phase der Trauer eine Kerze angezündet hat, hat es schwer, ritualisierte Kommunikationsformen überhaupt verstehen zu können.

Als Hochschule für Angewandte Wissenschaften in kirchlicher Trägerschaft ist Religiosität nicht nur Gegenstand von Lehre und Forschung. Wir verstehen es als unseren Auftrag, religiöse Praxis und den Diskurs darüber in einem öffentlichen Raum zu fördern. Angehörige der großen Religionen praktizieren spirituelle Unterbrechungen des Alltags in Form des Gebets, des Singens, des Schweigens – aber auch des Nachdenkens und des Diskutierens. Spiritualität, die Praxis der Selbstüberschreitung und Transzendenz, die gibt es auch ohne einen Bezug auf Traditionen der großen Religionen. Sie soll im Raum der Stille ihren Ort haben: denn hier leben und arbeiten Menschen, die auch bezüglich ihrer Religionszugehörigkeit und Weltanschauung vielfältig sind.

Uns ist wichtig, dass wir miteinander die Konstruktion des Andersseins der Anderen, grundsätzlich reflektieren. Denn die Bilder von den anderen Religiösen und den Weltanschaulichen sind immer holzschnittartig, sie vereinfachen, um das Eigene zu bestätigen. So funktioniert menschliches Denken, und damit gilt es zu rechnen. Die Begegnung mit konkreten Menschen, die ihre Spiritualität leben, hilft nicht nur beim Wahrnehmen und Verstehen. Sie übt auch den Umgang mit Unterschieden ein.

Wir haben beispielsweise in einer Hochschulgruppen übergreifenden Arbeitsgruppe Nutzungsregeln entworfen. Ihr Ziel ist es, durch die Nutzung des Raumes ihn zu einem „Andersraum“ werden zu lassen und darüber, zu sensibilisieren für Praxisformen der anderen – und dabei auch das eigene zu entdecken. Wir haben diskutiert, warum der Raum der Stille kein Pausenraum ist, und warum beispielsweise das Essen dort dem Abend- oder Agapemahl vorbehalten ist. Aktuell finden hier bereits geführte Meditationen statt, interreligiöse Gebete für den Frieden im Nahen Osten, Einübung in die Rolle der Leitung evangelischer Gottesdienste, individuelles stilles – betendes – Sitzen, Andachten und Impulse, Einübung von Raumgestaltung zu verschiedenen Anlässen, etwas und sich ausprobieren – und hoffentlich bald noch mehr.

Bernadette Hörder, Foto: Marc Doradzillo

Konzept der Möblierung, erläutert von Bernadette Hörder

Die Prinzipalien sind großzügig, klar und schlicht in ihrer Form und damit einem liturgischen Ort angemessen. Sie sind filigran gestaltet, so dass in der Frontalansicht die Farbe des Hintergrundes im Gegenlicht durchscheint und eine Transzendenz vermittelt wird.

Die Objekte sind offen und somit bestimmt für Andachten, Meditationen und Gottesdienste für Menschen aller Religionen. Sie sind relativ leicht, mobil und frei arrangierbar und bieten den Studierenden und anderen Nutzer*innen die Möglichkeit, ihren Raum frei zu gestalten.

  • Symbol der Transzendenz: An der Frontseite des Rednerpultes ziert ein Fries aus Büchern den Ambo. Anders als wir es aus unserem Bücherregal gewohnt sind, sehen wir hier nicht die Buchrücken, sondern die Innenseite der Schriften. Durch diesen Fries aus Worten werden wir aufmerksam auf die liturgische Bedeutung des Ambo.
  • Das Material: Die Prinzipalien sind aus dunklen Siebholzplatten, einem Material, welches sich würdig von dem hellen Dielenboden abhebt. Ein tiefes Braunrot, Caput mortuumrot, steht dem Beige des Bodens und dem hellen Graubraun der Lehmwand gegenüber. Das Material besteht aus Birke, Pappel oder Eukalyptus, die Oberfläche ist glatt und steht somit im Kontrast zu dem organisch strukturierten Raum. Die Dichte des Holzes steht der Transparenz des Glases gegenüber, das Gewicht der Leichtigkeit, die Organik dem industriell angeferigten Material und das Volumen steht in spannendem Verhältnis zur Fläche.

Bilder von der feierlichen Eröffnung des Raums der Stille mit besonderer Möblierung am 26. April 2024

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