Friedensinstitut auf der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen

Prof. Dr. Bernd Harbeck-Pingel, Foto: privat

An dieser Stelle berichtet Prof. Dr. Bernd Harbeck-Pingel, Wissenschaftlicher Direktor des Friedensinstitut Freiburg, über die Diskussionen der Vollversammlung, über ökumenische Begegnungen und über Perspektiven der Friedensethik. Zur 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen vom 31.08. bis 08.09.2022 in Karlsruhe kommen bis zu 4.000 internationale Gäste aus 350 Mitgliedskirchen. Ein Ereignis, das nur alle acht Jahre stattfindet, und zum ersten Mal in Deutschland. Mehr Info: www.karlsruhe2022.de

Alle Fotos: Bernd Harbeck-Pingel

07.09.2022

Seit 1965 kooperieren wir miteinander, sagt ein Gesprächspartner.

Die Weltversammlung neigt sich ihrem Ende zu, zur Entlastung des Bloggers bringt sie selbst ihre Beschlüsse zu Papier, daher muss an dieser Stelle keine Bilanzierung versucht werden.

Der Blick in die Runde hat über die Tage vermittelt, dass mindestens aus europäischer Perspektive die Ökumene durch die Abwesenheit des römischen Katholizismus evident unvollendet ist. Das muss nicht als unvollendete Einheit dauerbeklagt werden, denn die Verbands- und Gremienökumene ist ja nicht identisch mit der ökumenischen Praxis von Christen weltweit und den aus notwendiger Komplexitätsreduktion erfolgreich geübten Formen des Austauschs von Kirchen und Gemeinden. Seit 1965 kooperieren wir miteinander, sagt ein Gesprächspartner.

Der Versammlung gelingt, zivilgesellschaftliches und öffentliches Wirken mit Gottesdienst, Gebet und theologischer Arbeit zu vermitteln. Die übergroße Anzahl von Akteur*innen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie heute, morgen und übermorgen sich wieder von einander entfernen, zwar elektronisch gut verbunden, dass sie aber dann vor Ort sehen müssen, wie ihre religiösen Gemeinschaften das Gleichgewicht von in sich differenzierten Handlungen organisieren.

Mit der gängig nebulösen Floskel von „interreligiösen Beziehungen“ ist nur angedeutet, dass die christlichen Sozialgestalten für ihr Verstehen und Kooperieren noch viel Arbeit vor sich haben. Auch schließt die Begeisterung für das Christentum und seine ökumenische Bewegung nicht durch Mitmeinen alle sogleich ein, denen Religion nichts sagt.

Indem sich die ökumenische Bewegung nicht als Ding, sondern als Aktionsform mit Zeitverbrauch versteht, wird die Friedensarbeit, auch dann, wenn sie es immer ganz drängend meint, auf die Begrenztheit ihres Gestaltungsspielraums zurückverwiesen.

Nachdem so viel über Voice, Kontext, Perspektivität und Engagement zu erfahren war, hier ein Moment europäischer Regionalwissenschaften:

„…der Vater aber liebt,
Der über allen waltet,
Am meisten, daß gepfleget werde
Der feste Buchstab, und Bestehendes gut
Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.“

(Hölderlin, Patmos)

Am Mittwoch, 07.09. nehmen Karen Hinrichs und Konstantin Funk an einer Diskussion des GETI-Programms teil. Die Dokumentation folgt auf der Website des Friedensinstituts.

06.09.2022

Was soll Einheit bedeuten?

Die gottesdienstliche Versammlung, eine Einheit von Stimmen, eine Einheit der Sänger*innen. Der äthiopische Priester (Foto) stimmt das Halleluja an. Weder die Notation im Gottesdienst noch die Realisierung durch Chor und Gemeinde kommen entfernt an das heran, was er singt. Denn zu sehen sind fünf Linien, basierend auf Halb-/Ganztonskalen. Die Intervalle, die er singt, sind in der Eile gar nicht zu erfassen, erst recht nicht die Technik, mit der er singt. Die Heterogenität der musikalischen Formen und ihrer Realisierung stellen aber die Einheit des Singens dar, in genau dieser Form.

Unter der Voraussetzung, dass Gott einer ist, aber unterschiedlich verstanden wird (entsprechend: die Welt, Menschheit), wird die Heterogenität als semantisches und erkenntnistheoretisches Problem alltäglich. Das jüdische Verständnis des Versöhnungstages fokussiert darüber hinaus aber den Zusammenhang von Versöhnung und Einheit.

Worin besteht die Kommunikation der Versöhnung zwischen Personen, die sich versöhnen? Was verstehen sie über sich und über die anderen? Von der differenten Auffassung der Einheit der Welt und des einen Gottes führen nur Wege zu differenten wechselseitigen Verständigungen und Versöhnungen. Auf die Differenz zurückzukommen, ist aber zu wenig, als Routine des Missverstehens oder Einheit der Missverstandenen. Das Vertrauen in den einfachen Satz muss her.

05.09.2022

Keine Imitation wiedergefundener Haltungen

Pastor Benjamin Jacuk traf ich bei der Akkreditierung zur Vollversammlung, es regnete und wir teilten uns einen Schirm. Sein Beitrag im Workshop am Freitag (02.09.) bezieht sich auf den Zusammenhang von Ökotheologie, Pfingsttheologie und den Weltbegriff von Indigenen aus Alaska. In der Tat ist Jacuk der erste Repräsentant aus Alaska auf einer ÖRK-Weltversammlung. Er arbeitet als Pastor einer Pfingstgemeinde und wirkt beim Alaska Native Heritage Center mit. Sein Konzept von Ökotheologie basiert darauf, dass die Lebensbedingungen eine heuristische Funktion für das Verständnis der Schöpfung und die Wahrnehmung und Erkenntnis Gottes besitzen.

So ist in der Kultur der Indigenen im Umgang mit begrenzten Ressourcen, in Kulturen des Helfens und Teilens sowie in der Kohäsion von Person und Raum/Person und Platz ein Tableau entwickelt, das durch Kolonialgeschichte indes in seiner Signifikanz und Kommunizierbarkeit erheblich beschädigt ist. Deshalb ist es auch allererst neu zugänglich zu machen, beispielsweise durch Jacuk als Repräsentanten der Indigenen Alaskas. Auf diese Weise entzieht sich das Verstehen der Ökotheologie der Indigenen einem quasi sentimentalen Blick auf vermisste ursprüngliche Naturbeziehungen. Auch erfährt das Sprechen über den Heiligen Geist seine Erdung, wenn das enthusiastische religiöse Erleben und das Hoffen auf die zukünftige Welt an die hier und jetzt-Praktiken angeschlossen wird.

Nicht die Imitation dieser wiedergefundenen Haltungen kann sinnvollerweise Ziel einer ökologischen Ethik sein, wohl aber das Lernen von ihnen.

Mehr Info: Alaska Native Heritage Center

02.09.2022

Friedensarbeit in den Philippinen

Zur ÖRK-Versammlung gehören auch kreative Pausen. Ich treffe zufällig Klein Fausto Emperado, der für die Church Conference of Asia von Thailand aus Öffentlichkeitsarbeit macht. Einen Tag später führen wir ein ausführliches Gespräch über Friedensarbeit in den Philippinen.

Emperado entwickelt Liturgien für Friedensgottesdienste und Friedenswochen.

Er ist Chorleiter und Arrangeur. Abgesehen von traditionellen Rhythmusinstrumenten und Keyboard ist der Gesang der Liturgen, der Gemeinde und des Chores im Vordergrund. Diese Fokussierung des Vokalen hat, nachdem die Kirchen in den Philippinen seit dem kolonialen Zeitalter von westlicher Theologie und westlichem Chorgesang geprägt waren, durch die Professorin der Religionspädagogik Elena Maquiso in den 60er Jahren eine entscheidende Wendung genommen.

Maquiso verwendet bekannte englischsprachige Texte, unterlegt diese aber mit Skalen und Rhythmen traditionell philippinischer Musik. Sie dichtet zunehmend auf Cebuano, ihre Lieder werden in ganz Asien verbreitet, übersetzt und variiert.

Mehr Info: Int’l Hymn Society Journal honors Elena Maquiso’s legacy

Emperado meint, die Bedeutung einer eigenständigen Liedtradition gehe weit über die liturgische Praxis hinaus. Denn er sieht in der Verwendung von Dialekten auch eine notwendige Anerkennung indigener Minderheiten intendiert. Die Asymmetrie zwischen Kolonialmächten und kolonialisierten Staaten wiederholt sich in der unsäglichen Marginalisierung indigener Traditionen. Die Friedensliturgien lassen Platz für Statements, für O-Ton, für konkrete Beispiele der Friedensarbeit und -gefährdung.

Auf dem Hintergrund der politischen Situation auf den Philippinen sind die Gottesdienste und die Aktivitäten der Kirchen als Formen der Sozialkritik darauf gerichtet, Regierung und Rebellen an den Verhandlungstisch zurückzubringen.

Musikbeispiele von Elena Maquiso

Gihatag Kanato ang Yuta (Dr. Elena G. Maquiso)

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Gihatag Kanato ang Yuta (Dr. Elena G. Maquiso)

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Musik ganz anders: Klavier in der Schwarzwaldhalle

01.09.2022

Religiöse Interpretation der Welt ist nicht nur strittig, vielmehr ist sie hilfreich

Das erste Plenum der Tagung nimmt das Thema der Versammlung in den Blick: Das Ziel der Liebe Gottes in Christus für die gesamte Schöpfung – Versöhnung und Einheit.

Man möchte sagen: Drunter machen wir’s nicht. Aber die erste Videobotschaft überrascht sogleich in ihrer Unverblümtheit: Patriarch Bartholomäus resümiert, dass das Versagen der Kirchen auf 2000 Jahre hin betrachtet offenkundig sei, sowohl im Verhältnis zur Größe und Ausstrahlung ihrer Botschaft als auch ihres Anspruchs. Die Schöpfung zu denken, bedeute die Heiligkeit des Gegenständlichen (divinity of things) zu denken. Der Patriarch kritisiert, dass die Befasstheit des religiösen Bewusstseins mit sich selbst, die Selbstbespiegelung von Glauben und Überzeugungen, davon absieht, dass die Welt weit größer ist, in die dieses religiöse Bewusstsein eingezeichnet ist. Und doch scheint es, als wäre das Subjekt mit sich selbst beschäftigt.

Das Phänomen „Stimme“ wird eindrücklich durch die Beiträge von Teilnehmenden aus Trinidad und Nordschweden, die Entrechtung sowie Missachtung von Tradition und Eigenständigkeit beispielhaft erläutern.

 

Jede Stimme müsste sich, dem Anspruch nach, auf die Versöhnung und Einheit hin beziehen lassen, ohne jedoch darin unterzugehen.

Kardinal Kurt Koch liest die Botschaft des Papstes auf Spanisch vor, authentisch und verfremdend zugleich durch den österreichischen Akzent. Und in der Sache wird auch die Dysfunktionalität von „sound“ deutlich. Denn die gängigen und möglichweise verschlissenen Metaphern vom Körper Christi oder die vollmundige Rede von der Gemeinschaft der Trinität für sich und für die Welt betrachtet oder das Handeln Gottes in/an der Welt verhalten sich merkwürdig inkompatibel zu den konkreten Erfordernissen der religiösen Erfahrung wie auch der Not.

Von der Konkretion aus betrachtet: jede Stimme müsste sich, dem Anspruch nach, auf die Versöhnung und Einheit hin beziehen lassen, ohne jedoch darin unterzugehen. Vielleicht bleibt sie aber uneins für sich, indem sie sich nicht subsumieren lässt. Die Auslegungen sind von der Zuversicht getragen, dass die Ermutigung durch die biblische Botschaft für religiöse Gemeinschaften Veränderungen in Gang bringt, die in die Zivilgesellschaft ausstrahlen. Kundigen Zuhörer*innen kommt es so vor, als hätten sie das schon einmal gehört. Darüber wäre nachzudenken.

Die Subjektorientierung, die nicht allein in der Theologie, sondern in vielen Gesellschaftswissenschaften mit guten Gründen betrieben wird, erfährt durch den Beitrag des Patriarchen Bartholomäus ebenfalls eine erhebliche Irritation, denn die religiöse Interpretation der Welt ist nicht nur strittig, vielmehr ist sie hilfreich, wenn es darum geht zu klären, wie ein nachhaltiges Leben zugunsten aller künftiger Generationen nicht bloß gefordert, sondern argumentativ verteidigt werden kann.

Blue Community – eine Initiative für Wasser als Menschenrecht und Gemeingut

Lisa Kern (Reformierte Kirche Bern-Jura-Solothurn) und Karl Heuberger stellen das Programm vor:

  1. Anerkennung des Wassers als Menschenrecht
  2. Wasserdienstleistungen in öffentlicher Hand
  3. Leitungswasser statt Flaschenwasser trinken
  4. Pflege von institutionellen Partnerschaften international

Die anschließende Diskussion und Präsentation von best practice vom Rio Pardo und aus Zollikofen machen weitere Facetten deutlich: Wie steht es um die Wasserqualität? Trinkwasser muss trinkbar sein. Wer sorgt für Ausbau und Erhalt einer guten Infrastruktur der Wasseraufbereitung? Wo eröffnen sich Möglichkeiten, den Trinkwasserverbrauch zu begrenzen?

Darüber hinaus wäre zu fragen: Wer entscheidet, was Gemeingut ist und was nicht? Was ist der Sinn von Gemeinschaft und Gesellschaft als Verwalter nicht verkäuflicher und kostenloser Güter. Welche Akteure sorgen für das, was dem Gemeinwohl dient, zum Beispiel die Pflege und medizinische Versorgung aus ökonomischen Bedingungen mit dem Ziel der Gewinnmaximierung und der Konzentration von Besitz, Verfügbarkeit und Kontrolle zu lösen?

Was morgen folgt: Dekolonisierte Liturgie und Friedensarbeit

Heute habe ich ein langes Gespräch mit Klein Fausto Emperado von der Church Conference of Asia über Dekolonisierte Liturgie und Friedensarbeit geführt. Ich dokumentiere die Begegnung morgen, Freitag, 02.09.

Für morgen plane ich, am Workshop „Pentecostal Eco-Theology From the Margins” teilzunehmen. Und darüber berichte ich am Montag, 05.09.

31.08.2022

Compañeros – Ökumene weiterdenken

Die letzte Weltversammlung fand vor neun Jahren statt, die Arbeit in der Zwischenzeit wird dokumentiert mit „Towards an ecumenical theology of companionship“. Unter den Kategorien Truth and Trauma, Land and Displacement, Gender Justice, Racism, Intersectionality wird eine recherchebasierte Theologie präsentiert, die sich selbst als „towards“ versteht, als in Entwicklung begriffen.

Die postkoloniale Lektüre verfährt sprachkritisch, was die Bildung und Wiederholung von Kategorien angeht. Sie ist aber vor allem dahingehend interessant, weil sie das im ökumenischen Sprachgebrauch reichlich präsente „Pilgern“, welches ebenso identifikatorisch wie ausgrenzend wirken kann, in eine Bewegung des Miteinanders überführt. So ist es eine glückliche Wendung, dass mit dem Begriff „Companionship“ das Teilen einer Mahlzeit in den Vordergrund rückt, wie Fernando Enns während der Präsentation in der networking zone verdeutlicht. In der deutschen Sprache wird „begleiten“ auch eine gewisse Aufdringlichkeit nicht los.

Die Gelassenheit des Teilens von etwas und die Zurückhaltung gegenüber der Asymmetrie des FÜR wirft für gängige Formen der Theologien selbstkritische Fragen auf – was ihre Arbeitsweise, aber auch ihre Begriffsbildung angeht.

Ökumenische Süßigkeiten

Religionsgemeinschaften und Konfessionen definieren sich im Unterschied zu anderen. Dabei tut manchmal auch Humor not – an der ACK-Candybar gibt es Konfessionen nach Geschmack und Eigenschaft gelistet – und immer candy!

Was morgen folgt: Blue Community

Mein Bericht über den Workshop „Blue Community –- Eine Initiative für Wasser als Menschenrecht und Gemeingut“. Und in den nächsten Tagen: Mehr über philippinische Kirchenmusik.

30.08.2022

Ankunft am HBF Karlsruhe

Friedensethische Impulse vom ÖRK

Ab morgen poste ich von der Vollversammlung des ÖRK Notizen und Beobachtungen, vorrangig zu friedensethischen Themen. Ich berichte über Brunnen-Workshops und die Eröffnungssitzungen der Generalversammlung. Und es gibt Hinweise von mir, wann und wo Sie das Friedensinstitut Freiburg während der Generalversammlung finden.

Das Friedensinstitut wurde 2022 an der Evangelischen Hochschule Freiburg gegründet. In einem Masterstudium Friedenspädagogik / Peace Education, International Talks sowie Friedenspolitischen Hochschulgesprächen kooperiert es international mit zahlreichen ökumenischen Gesprächspartner*innen.