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Professorin Katrin Toens

„Der Wechsel von der Universität an die Hochschule forciert eine didaktische Entwicklung: weg vom Input-Trichter, hin zu mehr Einbindung und Handlungsorientierung."

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Mein Weg: Katrin Toens

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In den 1990er-Jahren studiert Katrin Toens Politik in New York, wo Armut und Obdachlosigkeit das Stadtbild prägen. Wie wir politisch mit sozialen Missständen umgehen, beschäftigt sie seitdem immer wieder. 2011 wird Toens Professorin für Politikwissenschaft an der EH Freiburg. Rückblick auf einen ungewöhnlichen Werdegang.

Das Ausmaß an sichtbarer Armut und Verwahrlosung war schockierend.

Katrin Toens

Die Jahre in New York

Mitte der 1980er-Jahre interessiert sich Katrin Toens noch nicht so brennend für Politik, ein Studium ist auch nicht geplant. „Nach dem Abitur hat es mich nicht direkt an die Universität gezogen. Ich wollte etwas Praktisches machen und entschied mich für eine Ausbildung zur Fotografin“, erinnert sich Katrin Toens. Ende 1987 ergreift sie die Möglichkeit, im New Yorker Atelier eines Fotografen zu arbeiten. Das Leben dort verändert ihren Blick auf die Welt. „Ich bin damals viel durch die Stadt gelaufen und habe fotografiert. Die neoliberale Kehrtwende unter dem damaligen Präsidenten Ronald Reagan hatte ihre Spuren im Stadtbild hinterlassen: Wohnungslose Menschen irrten in den Straßen umher, campierten in Parks oder suchten Unterschlupf in öffentlichen Gebäuden. Das Ausmaß an sichtbarer Armut und Verwahrlosung war schockierend.“

Diese Erfahrungen wecken ihr Interesse an den politischen Ursachen und Lösungsmöglichkeiten sozialer Missstände. Bald eröffnet sich die Chance, neben den fotografischen Ausdrucksmöglichkeiten auch andere Kompetenzen zu schulen, die zum politischen Handeln gehören. Im Sommer 1989 fragt eine Bekannte, die bei der UNO arbeitet, ob sie einspringen könne: Das Büro der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen suche eine Schwangerschaftsvertretung. Toens bewirbt sich und wird genommen.

„Ich fand die Arbeit bei der UNO wahnsinnig interessant, weil hier soziale Probleme im globalen Rahmen politisch verhandelt wurden.“ Das gibt den Anstoß, sich intensiver mit Politik zu beschäftigen. Wissenschaftlich. Im Oktober 1989 beginnt Katrin Toens ein Studium der Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Auf das Grundstudium in Deutschland folgt ab 1992 das Hauptstudium an der New Yorker Jesuitenuniversität Fordham, das sie 1994 mit dem „Master of Political Science“ abschließt.

Katrin Toens, Foto: Bernd Schumacher
Katrin Toens, Foto: Bernd Schumacher

Der Wechsel von der Universität an die Hochschule forciert eine didaktische Entwicklung: weg vom Input-Trichter, hin zu mehr Einbindung und Handlungsorientierung.

Katrin Toens

Akademische Karriere in Deutschland

Mit der Entscheidung zu promovieren, beginnt für Katrin Toens die akademische Karriere in Deutschland. „Für meine Promotionhabe ich bewusst eine deutsche Universität gewählt“, sagt sie. Thematisch ist ihr die vergleichende Perspektive auf die Sozialpolitik der beiden Länder wichtig. Toens entscheidet sich für eine gerechtigkeitstheoretische Analyse der Sozialhilfereformen in den USA und in Deutschland. „Auch in Deutschland diskutierte man in den 1990er-Jahren kontrovers über die restriktive Workfare-Reform in den Vereinigten Staaten, etwa im Zusammenhang mit der Hartz-IV-Reform und mit dem Schröder-Blair-Papier zur Modernisierung der Sozialdemokratie. Ich fand es ungerecht, Menschen, die ohnehin an den Rand gedrängt sind, in irgendeinen Job zu zwingen, indem man ihnen androht, existenzsichernde Sozialhilfeleistung zu entziehen.“

Um den Jahrtausendwechsel arbeitet Katrin Toens als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an den politikwissenschaftlichen Instituten verschiedener Universitäten. In Berlin sammelt sie praktische Erfahrungen in den internationalen Beziehungen, etwa als Ausbildungsassistentin beim Auswärtigen Amt und bei der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung. 2002 erhält sie eine Stelle als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg. Dort wird sie Junior- und Vertretungsprofessorin.

Was die Profilbildung betrifft, sieht sich Toens eher als Generalistin. „Ich hatte nach dem Master ein starkes Interesse an Theorien und Grundlagenforschung, auch durch den Stellenwert von Ethik und politischer Philosophie an der Fordham University“, sagt sie, „aber ich hatte immer auch einen Bezug zur Praxis und zu empirischen Befunden.“ Auf ihrer Publikationsliste finden sich Arbeiten zu feministischen Perspektiven in der Sozialpolitikforschung, zu Gerechtigkeitstheorien, Kindeswohl, Jugendrecht, Hartz-IV-Reform und politischer Partizipation in der Sozialen Arbeit.

Habilitiert wird sie an der Universität Münster mit einer empirischen Arbeit zur deutschen Hochschulpolitik im Bologna-Prozess. Als die EH Freiburg 2011 eine Professur für Politikwissenschaft ausschreibt, trifft das den Nerv der Politologin Toens:„Ich konnte mich mit meinen sozialpolitischen Interessen in dem Stellenprofil wiederfinden.“ Eine neue Etappe beginnt. Mittlerweile sind es über zehn Jahre auf dieser Professur. „Ich fühle mich hier sehr wohl, weil ich das Fach in der ganzen Breite vertreten kann“, sagt Toens. Ihre aktuellen Schwerpunkte sind Politikfeldanalyse, Familien- und Geschlechterpolitik, Europäische Integration, Sozialpolitik und Interessenvertretung der Sozialen Arbeit.

Ich fand die Arbeit bei der UNO wahnsinnig interessant, weil hier soziale Probleme im globalen Rahmen politisch verhandelt wurden.

Katrin Toens

Der Pfad zur guten Lehre

Die Politikprofessorin Toens prägt die Ausrichtung der EH Freiburg auch als Studiengangsleitung für den forschungsorientierten Master Soziale Arbeit mit. „In der Sozialen Arbeit ist das Politische sehr präsent. Insbesondere, wenn sie Leitungsfunktionen übernehmen, sollten Fachkräfte die politischen Implikationen ihrer Tätigkeit reflektieren und möglichst auch mitgestalten.“ Nicht nur zum Wohl ihrer Adressat*innen – es sei auch wichtig, die Interessen der Sozialarbeitenden in der Öffentlichkeit, gegenüber Arbeitgeber*innen, Kommunen und Ländern sowie in der Politikberatung von Ministerien professionell zu vertreten.

Wie macht man Lust auf politisches Denken – anstelle von politischem Zynismus? Und wie trägt man die Erkenntnisse und Instrumente der Politikwissenschaft gut an Studierende der Sozialen Arbeit heran? Die neuberufene Professorin steht zunächst vor mehreren Hürden: Es gibt kaum brauchbares Material. Toens schließt sich der heutigen Sektion Politik Sozialer Arbeit innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit an. Gemeinsam entwickelt die Gruppe Leitfäden und Lehrbücher. Ein anderes Problem wird ihr erst im Nachhinein bewusst: Die Hochschullehre, die sie selbst an der Universität kennengelernt hat, ist eher textlastig und an den Forschungsinteressen der Lehrperson ausgerichtet. „An der Universität wurden wir kaum didaktisch geschult. Vieles musste ich mir selbst aneignen.“

Der Wechsel von der Universität an die Hochschule forciert eine didaktische Entwicklung: weg vom Input-Trichter, hin zu mehr Einbindung und Handlungsorientierung. Toens beginnt, sich zurückzunehmen. Sie gibt Impulse, moderiert, konzentriert sich darauf, die Studierenden etwas erreichen zu lassen. „Je stärker ich meine Rolle darin sehe, einen Raum zu schaffen, in dem die Studierenden selbst aktiv werden, desto besser gelingt es, sie zu befähigen.“ Die Digitalisierung der Hochschulen begleitet diese Neuausrichtung der Lehre.

Toens hat eine aufgeschlossene, aber nicht unkritische Haltung zur digitalen Lehre. Zum Beispiel stellt sie gerne vorab Material in den „Flipped Classroom“ und ordnet es mit Sprachnachrichten ein. „Hybride Lehre ermöglicht uns, die Präsenzzeit besser zu nutzen. Wir können dann direkt in die Diskussion einsteigen und Inhalte in unterschiedlichen Lehr-Lern-Settings vertiefen.“ Eine zweite Chance der Digitalisierung: Sie kann die Studierenden relativ spontan und unkompliziert mit internationalen Expert*innen ins Gespräch bringen, die für Präsenzseminare sonst extra anreisen müssten.

Eine zweite Chance der Digitalisierung: Sie kann die Studierenden relativ spontan und unkompliziert mit internationalen Expert*innen ins Gespräch bringen.

Katrin Toens

Auszeichnung mit Lehrpreis

Es zahlt sich aus, dass Katrin Toens ihre Politikdidaktik reflektiert und an neue Herausforderungen angepasst hat: Im Herbst 2022 gewinnt sie den ersten Lehrpreis der EH Freiburg. Mit der neuen Auszeichnung will die Hochschule ihr Kollegium motivieren, kreative Lehrkonzepte zu entwickeln und durchzuführen. Neben der Wertschätzung bekommen die Preisträger*innen jeweils 1000 Euro für die zukünftige Lehre.

Toens erhält den Preis für ihre Politiklehre im forschungsorientierten Master Soziale Arbeit. Im Fokus steht die Durchführung einer Exkursion nach Brüssel. Zur Vorbereitung organisiert Toens ein Planspiel und eine Videokonferenz mit internationalen Expert*innen aus dem EU-Parlament, dem Europäischen Ausschuss der Regionen und dem Europabüro der Diakonie Deutschland in Brüssel. Der Aufenthalt in der EU-Hauptstadt startet mit einer Fahrradtour zu den Themen Nachhaltigkeit und Mobilitätswende. Es gibt immer wieder Zwischenstopps für Gespräche mit Sozialarbeitenden und Lokalpolitiker*innen. Anschließend sprechen die Studierenden im Presseclub Brüssel selbst als Expert*innen der Sozialen Arbeit mit jungen NGO-Mitarbeitenden und Europapolitiker*innen. Die Erkenntnisse werden auf der digitalen Plattform „Europe Bottom-Up“ der Stiftung Zukunft Berlin veröffentlicht.

Die Jury lobt Toens „höchst anspruchsvolles und spannendes Format mit hoher Innovativität, Abwechslungsreichtum und Engagement“. Katrin Toens setzt das Preisgeld für Lehrmittel ein, mit denen die mobile Lehre ausgebaut werden kann. Sie wird ihre Politiklehre weiterentwickeln und die Chancen der digitalisierten Welt auch künftig nutzen. Ziele, die dabei besonders im Vordergrund stehen, sind der Ausbau der Praxisforschung im Master sowie die Förderung transformativer Kompetenzen zugunsten eines angstfreien und offensiven Umgangs mit den politischen und sozialen Herausforderungen globalisierter Gegenwartsgesellschaften.

(Dirk Nordhoff)

Nina Wehner (rechts) im Gespräch mit Katrin Toens, Foto: Bernd Schumacher

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