ev.olve - 02/2022

die sich auftuende Lücke ist schon längst der Konsum getreten. Das musste er auch, sonst hätte eine zunehmende Entfremdung von der Arbeit diese Wirtschaftsform schon längst ad absurdum geführt. Konsum nährt sich aus Bildung und Einkommen, ver­ braucht aber eben Zeit, Freizeit. Beides konkurriert nun in einer neuen Form von Klassengesellschaft, in der das Unterschei­ dungsund Spannungsmerkmal nicht mehr Besitz ist, sondern die Möglichkeit, Zeit zum Einkommenserwerb und freie Zeit in einer sinnvollen und sinnstiftenden Balance zu halten. Und lassen Sie sich nicht von Begriffen wie WorkLifeBalance schön sanft und wellnessmäßig in die Irre führen. Die Arbeitszeit und die Freizeit streben nicht nach Balance, sie sind erbitterte Kon­ kurrenten und wollen beide den größten Teil vom Tagesoder Wochenkuchen. Immer. Koste es, was es wolle. B: Aber wenn wir letztlich Vereinbarkeit anstreben sollen, was ist dann der Antagonismus? Jede Gesellschaft lebt doch auch vom unlösbaren Widerspruch unvereinbarer sozialer Rechte und Statusdivergenzen. Richtig? A: Richtig. Ach, wie schön, Sie suchen den unvereinbarenWider­ spruch? Er liegt vor Ihren Augen: Gerade im Konsum sind wir ja gespalten. Konsumklassen, die sich nicht nur über Statuskon­ sum voneinander abgrenzen, sondern gerade auch in der Zeit­ souveränität, die man aufwenden muss, um beim Konsumieren mithalten zu können. Denken Sie an Bourdieu oder Vester. B: Ja, ach die, stimmt. Aber noch mal: Wo ist der Antagonis­ mus? Es soll doch wohl nicht ernsthaft hier behauptet wer­ den, Vereinbarkeit oder irgendeine WorkLifeBalance sei der Schlüssel zur Auflösung aller sozialen Widersprüche und der Weg zu einer klassenlosen Gesellschaft? A: Gutes Argument, stimmt. Das ginge zu schnell. Vielleicht sollten wir erst „sinnvolle Balance“ besprechen. Sinnvoll oder sinngebend könnte sein, was mindestens nicht individuell krank macht, über einen selbst hinausgeht, sozial und auch gemeinwohlgerichtet und demokratisch ist, also lebenswelt­ lich trägt. Man könnte auch kurz sagen: Alles, was uns nicht wieder zur Ware macht oder uns in unserer gegenwärtigen Warenförmigkeit belässt. B: Aber dann gehörte ja auch der Topmanager zu den Unter­ drückten, denen die Balance vorenthalten ist. A: Warum nicht? Wenn er noch dazu ein bisschen gemeinwohl­ orientiert denkt und handelt. B: Cool! Und der Klassenkampf? A: Kampf um die Ressource Zeit. Wer über seine Zeit einiger­ maßen frei verfügen kann, ist ein Privilegierter auf Kosten der­ jenigen, die im Hamsterrad stecken und rennen. 2 3 Die große Transformation

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