ev.olve - 02/2022

Vortrag A: … und so also zum Schluss, lassen Sie mich zusammenfassen: Die Sozialwirtschaft steht in der Wertschöpfungshierarchie des Landes ganz unten. 2018, also vor Corona, machte die Indus­ trieproduktion mit 25,5 Millionen Beschäftigten einen Umsatz von 5870 Milliarden Euro. Die Wertschöpfung pro beschäftigte Person betrug 230 Euro. Die Humandienstleistungen schafften mit knapp 14,5 Millionen Beschäftigten gerade einmal einen Umsatz von 204 Milliarden Euro, also eine Wertschöpfungs­ quote von nur rund 14 Euro je beschäftigte Person. 1 Den meisten Berufen in diesem Dienstleistungsbereich fehlt es an Attraktivität mangels „Wertigkeit“, so die gängige Meinung. Dem Industrieland Deutschland wird aber mit der Digitalisie­ rung und dem Energiewandel ein weiterer Strukturwandel be­ vorstehen, der den Arbeitsmarkt und den Sozialstaat vor ganz neue Herausforderungen stellt. Zugleich braucht eine alternde Gesellschaft in den nächsten 20 Jahren eine gut strukturierte und gut funktionierende Sozialwirtschaft, ein nicht unerheb­ licher Teil des privaten Konsums wird verstärkt in soziale Ver­ sorgung und Dienstleistungsangebote gehen. Gerade vor dem Hintergrund demografischer Herausforde­ rungen stellen sich nicht nur enorme Aufgaben, sondern es bieten sich auch Chancen für einen Umbau von einer Indus­ trie hin zu einer Humandienstleistungsgesellschaft. Dabei geht es weniger um das Verschieben volkswirtschaftlicher Ressourcen und Strukturen, sondern um die Integration von Leistungen in wertschöpfungsfähigere Strukturen in einer Art transsektoralen Synergetisierung. Die Schlüsselfaktoren guter Personalarbeit sind ein Ausgangspunkt für eine professionel­ le Entwicklung des Sozialen im NichtSozialen, die nicht die Ausgabenkontrolle und Wirtschaftlichkeit in den Mittelpunkt stellt, sondern den Menschen in seiner Sozialräumlichkeit par­ tizipativ in den Mittelpunkt von Sozialpolitik rückt. Sozialpoli­ tik sollte hierbei nicht als klassisch kapitalistischer, antagonis­ tischer, sondern als ein engerer und symbiotischer „Schatten“ einer geforderten, globalen PostWachstumsökonomie ver­ standen werden. Und es sollte hier nicht gelten: „Was darf es maximal kosten?“, sondern: „Whatever it takes!“ Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger, ein Ernstnehmen von Humandienstleistungen als Ko­ produktion, über die eine Identifikation mit dem Gemeinwesen erst möglich wird. Wir brauchen eine „Resozialisierung“ des Sozialstaats, dessen Orientierung an den Erfordernissen einer Industriewirtschaft immer weniger trägt. Er hat sich stattdes­ sen an den Erfordernissen der Menschen in ihrer Lebenswelt und ihrer Biografie zu orientieren. Danke für Ihre Aufmerk­ samkeit. Beifall. Wortmeldung B: Vielen Dank für Ihren überzeugenden Vortrag. Aber mir war das am Schluss doch etwas zu abstrakt. Sollten wir nicht klei­ ner beginnen? Ich meine, Sie sprechen von Herausforderungen einer alternden Gesellschaft und einer gut strukturierten So­ zialwirtschaft. Jeder disruptive Epochenumbruch hat nicht nur die Ressourcen, mit denen wir arbeiten und Arbeit gestalten, verändert, sondern auch die Einstellung und Haltung zu ihr. Ich sehe aber nicht, dass sich unsere Haltung zu Arbeit ändert; im Gegenteil, manche fordern ja Mehrarbeit, um schon mal den drohenden Wohlstandsverlust auszugleichen. An Einstellungs­ änderungen zur Arbeit herrscht allenthalben Mangel. Arbeitszeit und Freizeit sind erbitterte Konkurrenten. Was sind die Bedingungen für eine gesellschaftliche Transformation? Damit setzt sich der Soziologe Berthold Dietz in Form eines fiktiven Streitgesprächs auseinander. Seine These: Sind der Organisationsgrad und dieWiderständigkeit von Berufstätigen hoch, stehen die Zeichen für Veränderungen eher auf Erfolg. 2 1 Die große Transformation

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