ev.olve - 01/2022

Wenn Erwachsene die Grenzen von Kindern verletzen, geschieht das oft unbewusst in stressigen Situationen. Ein neues Präventionsprogramm will Kinder für ihre Rechte sensibilisieren und sie darin stärken, sich im Kita-Alltag gemeinsam gegen verletzendes Verhalten zu wehren. Frau Rönnau-Böse, Sie haben sich bei der Entwicklung des Methoden- koffers für ein stark partizipatives For- schungsdesign entschieden.Warum? MRB— Das ergibt sich aus dem For- schungsgegenstand: Wenn man von Kinderrechten und Kinderschutz spricht, geht es immer auch darum, die Kinder zu „empowern“ und ihre Selbstwirk- samkeit zu stärken. Resilienz entwickelt sich durch Partizipationsprozesse. Und das setzt eben voraus, nicht über die Kinder zu reden und etwas für sie zu tun, sondern sie selbst gestalten zu lassen. Der partizipative Forschungsprozess ist also gleichzeitig schon eine Me- thode, um Kinder stark zu machen? MRB— Genau. Wir kommen nicht mit einem fertigen Methodenkoffer, sondern die Kinder entwickeln das Projekt ge- meinsam mit den Fachkräften in den Kitas sowie mit unseren wissenschaft- lichen Mitarbeiter*innen und mit einer Illustratorin. Diese zeichnet die Ideen der Kinder und spiegelt das Gezeichnete immer wieder zurück: „Stimmt es so? Soll ich was verändern?“ Die Kinder sagen, was sie gut finden und was sie sich vorstellen können. So entstehen Figuren, die für das Projekt leitend sind. Die Kinder erleben dadurch, dass ihre Stimmen gehört werden und ganz plas- tisch Form annehmen. Ist diese Art der Forschung neu? MRB— Partizipative Forschungsansätze gibt es schon seit einigen Jahren, aber sie werden nur sehr punktuell umge- setzt. Insofern ist ein so ergebnisoffener Prozess schon eher neu, ja. Früher hät- ten wir zum Beispiel vorab Materialien entwickelt und diese im Rahmen der Forschung zusammen mit den Kindern ausprobiert. Jetzt gestalten Kinder aus 20 bis 25 Kitas das Projekt wirklich von Anfang an mit. Es kann also passieren, dass wir am Ende nicht einen, sondern zwanzig Methodenkoffer haben. Die Kinder dürfen auch jedes Mal neu ent- scheiden, ob sie mitmachen. Darauf legen wir großenWert. Entwickeln Sie auch die Methode an sich weiter? MRB— Ja, wir nutzen dieses Projekt auch, um die Entwicklungen auf der Metaebene performativ zu evaluieren, also zu schauen: Was kommt an, was nicht?Was müssen wir im Prozess ver- ändern, um unsere Ziele zu erreichen? Was brauchen die Kinder, um weitere Schritte zu entwickeln? Denn darum geht es: Kinder nicht nur dafür zu sensibilisieren, was Gewalt im Alltag ist, sondern sie auch in ihrer Selbstwirksam- keit zu stärken und erfahren zu lassen, dass man zusammen stark ist. × Barbara Hirth, Rebekka Sommer Titel:Traut Euch! Ein Kinderkoffer gegen Gewalt Projektleitung: Prof.in Dr.in Maike Rönnau-Böse, Prof.in Dr.in Dörte Weltzien. Zentrum für Kinder- und Jugendforschung (ZfKJ) im For- schungs- und Innovationsverbund FIVE an der EH Freiburg e. V. Kooperation: Prof.in Dr.in Rieke Hoffer, Hochschule Koblenz; weite- re Projektbeteiligte: Stiftung Uni- versität Hildesheim, Hochschule Fulda, Europäische Fachhochschule Rhein/Erft GmbH, Bundesarbeits- gemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder e. V. (Projektorganisations- stelle) Laufzeit: 10/2021 bis 12/2023 Auftraggeber: Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) Traut Euch! Ein Kinderkoffer gegen Gewalt Ziel: Kinder sollen mit vielfältigen Methoden, Impulsen und Aktivitäten ermutigt werden, erfahrene, erlebte und beobachtete Gewalt nicht hinzu- nehmen, sondern sich als selbstwirksam zu erleben und es zu wagen, sich gegen verletzendes Verhalten zu wehren. Hintergrund: Alltägliche, oftmals subtile Gewalt gegen Kinder und der da- mit einhergehende Missbrauch von Macht in pädagogischen Settings der Kindertagesbetreuung ist noch weitgehend tabuisiert. (Grenz-)verletzendes Verhalten von Fachkräften entsteht insbesondere in herausfordernden, stressigen Situationen. Dazu zählt körperliche, verbale oder psychische Ge- waltausübung wie Bevorzugung, Ausgrenzung, Zum-Essen-Zwingen oder beschämende Kommentare. Bis jetzt wurde dieses Thema kaum unter- sucht. „Traut euch! Ein Kinderkoffer gegen Gewalt“ ist ein Teilmodul des Gesamtprojekts „Entwicklung eines Setting-Programms zur Förderung der Gewaltprävention in Kindertagesstätten“. Das Vorhaben wurde durch die Bundesrahmenempfehlung zum Präventionsgesetz initiiert und beinhaltet vier Module: Organisations- und Teambegleitung mit Supervision, Schulung pädagogischer Fachkräfte, die Stärkung der Kinder sowie zusätzlich eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation. Forschungsdesign: Das Projekt umfasst eine formative Evaluation. In der Entwicklungsphase werden dafür verschiedene qualitative Erhebungs- instrumente eingesetzt (z. B. Gruppendiskussionen, dialoggestützte Inter- views, Kitaführungen, eine Ideenwerkstatt). Diese Instrumente dienen nicht nur der Evaluation, sondern sind auch Methoden, die in den Alltag der Kindertageseinrichtungen implementiert werden können: als neue, partizipative Kommunikationsformen. Die Ergebnisse werden fortlaufend vorwiegend inhaltsanalytisch ausgewertet und den Kindern kontinuierlich zurückgespiegelt. Traut Euch! Ein Kinderkoffer gegen Gewalt 1 2 1 3 ev.olve

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