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Unsichtbare Frauen

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© panthermedia.net / alexraths

Was sagen die Listen der Freiburger Kommunalwahl zu osteuropäischen Pflege- und Haushaltshilfen? Mit dieser Frage hat sich vor den Kommunalwahlen in Freiburg im Mai 2019 eine Projektgruppe von Studierenden der Sozialen Arbeit befasst. Die Gruppe hat die antretenden 18 Listen um ihre Positionierung zu dem Thema gebeten.

Der Großteil der Pflege in Deutschland wird in Privathaushalten geleistet, so auch in Freiburg. Dabei werden auch Frauen aus Osteuropa beschäftigt. Trotz der zumeist illegalen Anstellungsverhältnisse, ermöglichen sie oft erst eine häusliche Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Betroffene arbeiten unter intransparenten Bedingungen, genießen kaum arbeitsrechtlichen Schutz und sind oft über Monate von ihren Familien getrennt. „Grund zur Diskussion“, so die Leiter der Studierendengruppe Prof. Dr. habil. Thomas Klie und Florian Wernicke.

Zusätzlich zur Befragung per Mail konnten Vertreter*innen einiger der antretenden Listen und Parteien an ihren Wahlständen in Freiburg befragt werden. Schriftliche Rückmeldungen erhielten die Studierenden von der LinkenListe, den Unabhängigen Frauen Freiburg, der Liste Teilhabe und Inklusion, der FDP, der Grünen Alternative, Freiburg lebenswert, der SPD und NICHT!. Die vollständigen Texte werden im Laufe des Juli 2019 auf dieser Website veröffentlicht. Im Anschluss an die Kommunalwahlen planen die Studierenden eine Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen möglichst vieler Listen, für die sich ein Großteil bereit erklärt hat.

Die Antworten zeigen, dass es für die (lokal)politischen Akteure besonders schwierig ist, für die mangelnde Transparenz der Beschäftigungsarten und die Unsichtbarkeit der beschäftigten Frauen systematische Lösungen zu entwerfen. Die Befragten sehen das bundespolitische Versäumnis, Pflegebedürftigen und ihren Familien passende und bezahlbare Angebote zur Verfügung zu stellen sowie den Mangel an Fachkräften, als einen wesentlichen Treiber für den Einbezug privater Pflege- und Haushaltskräfte. Hierdurch steige der Druck auf die Familien und Angehörigen, andere Lösungen für die Versorgung der Angehörigen, so die Liste Teilhabe und Inklusion. Die Linke Liste beklagt zudem, dass Pflege auch aus bundespolitischer Sicht noch immer als individuelle und private Angelegenheit betrachtet würde und der zunehmende Rückzug des Staates und ein Planungs- und Steuerungsdefizit der öffentlichen Hand dies noch verstärke.

Auch Freiburg lebenswert erhofft sich nur wenig bundespolitische Initiative, da „jede Verbesserung zwingend mit (hohen) Kosten verbunden“ sei. Da die Würde aller Menschen, auch der Versorgten, höchstes Gut sei, müsse zudem auf die Eignung der Pflege- und Haushaltshilfen geachtet werden, fordert die Linke Liste. Die meisten Helferinnen könnten keine Versorgung nach pflegewissenschaftlichen Standards und solchen der Sozialen Arbeit gewährleisten.

Als nicht existent bezeichnet die CDU indes staatliche Kontrollen der jeweiligen Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnisse und weist ebenfalls auf die notwendige Qualifizierung der Frauen hin. Antonio Fusco (Listenplatz 16, CDU) wies darauf hin, dass die Verhältnisse zwischen der Vermittlungsorganisation, den Haushalten und den dort Beschäftigten klar definiert werden müssten, um Ausbeutungsverhältnisse zu verhindern und die Kontinuität des Aufenthalts zu überschauen.

Als ein weiteres Argument wurde das bestehende sozio-ökonomische Gefälle zwischen West- und Osteuropa benannt. Frauen aus osteuropäischen Herkunftsregionen gälten als „kostengünstige“ Alternative, argumentiert Freiburg lebenswert. Dies sei in mehrerer Hinsicht problematisch, bestärkt die Liste der Unabhängigen Frauen Freiburg. Die hierzulande beschäftigten Frauen blieben oft unsichtbar, auch und vor allem in der politischen Diskussion. Frauen, die zugleich fehlendem Rechtsschutz (z.B. Sozial- und Unfallversicherung) und einer schlechten Bezahlung ausgesetzt seien, würde so auch die politische Rückendeckung entzogen.

Ein weiteres Problem sieht die Grüne Alternative in der schlechten Vernetzung der Frauen untereinander. Ohne gegenseitige Unterstützung könnten sie sich nicht ausreichend über ihre Rechte informieren und so auch nicht gegen mögliche ausbeuterische und rechtswidrige Beschäftigungsumstände wehren. Um die Situation Betroffener zu verbessern, schlagen die Unabhängigen Frauen Freiburg die Schaffung von Beratungs- und Informationsangeboten vor.

Die FDP betont, dass es notwendig wäre, dass die Politik sich stärker an wissenschaftlichen Ausarbeitungen orientiert und diese in ihr konzeptionelles Arbeiten einschließt. Im Zuge dessen sei auch die Bundesfraktion der FDP aktuell mit der Ausarbeitung eines Positionspapiers zur häuslichen Pflege beschäftigt. Die FDP und auch die Linke Liste verweisen hier, unter anderem, auf den 7. Altenbericht. Die Sicherung und Ausgestaltung der Daseinsvorsorge – auch und besonders mit Blick auf die Pflege – sei darin als kommunale Aufgabe, welche durch zivilgesellschaftliches Engagement, Organisationen,Fachkräfte und Wissenschaften konzeptuell erfasst werden müsse, deutlich benannt.

Die Liste Teilhabe und Inklusion sowie die Linke Liste schlagen vor, eine Ersterhebung auf kommunaler Ebene zu initiieren, um einen Eindruck vom Umfang und den Beschäftigungsarten zu erhalten. So könne der Weg für einen politischen und gesellschaftlichen Diskurs geebnet werden und Freiburg eine bundesweite Vorreiterrolle einnehmen. Thomas Klie: „Den Studierenden der Evangelischen Hochschule Freiburg ist es mit dieser Umfrage gelungen, ein vernachlässigtes Thema im Kommunalwahlkampf in die Aufmerksamkeit der Politik zu bringen.“

Kontakt

Prof. Dr. habil. Thomas Klie, klie@eh-freiburg.de
und
Florian Wernicke, wernicke@eh-freiburg.de

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