ev.olve - 02/2022
mationen zu den Strukturen zum Kinder- schutz in beiden Ländern – zum Beispiel welche Behörde, welches Gericht ist für was und wen zuständig – und auch ein Glossar mit den wichtigen Fachbegriffen. Dafür kam ein multidisziplinäres Team aus Forschung, Lehre und Praxis unter der Federführung der Evangelischen Hochschule und ihrer Partnerhochschule ESEIS Strasbourg zusammen. Muss Forschung nicht nur grenzüber- schreitend, sondern auch viel weiter, und zwar global gedacht werden? Meines Erachtens muss sich jede Fach- disziplin vor allem zwei Fragen stellen, bei denen es um Nachhaltigkeit und um soziale Gerechtigkeit geht:Wie wollen wir zukünftig leben? Und wie wollen wir gemeinsam zusammenleben? Das sind Fragen, die nur global beantwortet wer- den können.Was ist zu tun angesichts des Klimawandels, wie kann die gerech- tere Verteilung von Lebensmitteln gelin- gen?Welche Rolle spielen postkoloniale Machtkonstellationen und Finanzströme bei der Gestaltung globaler Gerechtig- keit? Die Hochschulrektorenkonferenz, kurz HRK, hat, wie ich finde, eine treffen- de Bezeichnung für die Verantwortung der Hochschulen geprägt. Sie spricht von „Agenten desWandels“. Den Hochschu- len kommt dabei vor dem Hintergrund der Globalisierung aller Lebensbereiche eine zentrale Rolle zu.Wir brauchen also Forschung – ebenso wie Bildung und Transfer – unter Einbezug unter- schiedlicher Disziplinen. Doch sehe ich auch die enorme Herausforderung, eine globale Perspektive immer mitzudenken. Internationale Forschung ist kostspielig. Aber digitale Formate helfen enorm, um sich schnell über Forschungsdesigns abzustimmen und Forschungsdaten ge- meinsam zu nutzen. Sie waren mehrere Jahre Nachhaltig- keitsbeauftragter der Hochschule. Sehen Sie hier eine Verbindung zur Internationalisierung? Für mich sind die beiden Themen un- trennbar miteinander verknüpft. Auf der institutionellen Ebene wollen wir ener- getische Selbstversorger sein. Wir sor- gen in der Hochschule für nachhaltigen Energie- und Papierverbrauch. Unser im August 2022 wiedereröffnetes Hoch- schulgebäude wurde nach modernsten Energiestandards saniert. Auf der thematisch-inhaltlichen Ebene geht es um nachhaltiges und zukünftiges Leben – das habe ich vorhin schon angedeutet. Wir können an verschiedenen Stellen ganz konkrete Beiträge leisten, zum Bei- spiel in unserem Stadtteil. Studierende engagieren sich hier in der nachhaltigen Quartiersarbeit in Freiburg-Weingarten, in dem sich die Hochschule befindet. Lebendige Stadtteilarbeit gehört zum Pflichtprogramm, wenn es um interna- tionale Perspektiven geht. Das können auch kleine Projekte für einen Tag sein, wie es etwa „Rundum“ gewesen ist, organisiert mit Einrichtungen in der unmittelbaren Hochschulnachbarschaft. Eingeladen waren Kinder mit ihren Familien aus dem Stadtteil Weingarten, wo ja Menschen aus mehr als 80 Natio- nen leben. Man konnte lernen, wie aus regionalen und saisonalen Früchten Saft gepresst wird, welche Kräuter es gibt und was man mit ihnen in der Küche anfangen könnte. Neben Internationalisierung und Nachhaltigkeit gibt es ja noch eine dritte Ebene … Ja, und zwar die politische; da sind wir im Nachhaltigkeitsrat der Stadt Freiburg vertreten. Und um einen Blick auf das „große Ganze“ zu werfen: Unsere Internationalisierungsstrategie orientiert sich an den Vorgaben von Baden-Würt- temberg; die Landesregierung hat spezielle Indikatoren für Nachhaltigkeit entwickelt. Auch die von den Vereinten Nationen verabschiedeten Nachhaltig- keitsziele, die 17 Sustainable Develop- ment Goals der UN, sind mit diesen Indikatoren verknüpft. Nicht zuletzt wer- den diese UN-Ziele bei uns in den Studi- engängen sehr bewusst angesprochen. Alles zusammengenommen entsteht dadurch ein wichtiger Raum als Hinter- grundfolie globaler Zusammenhänge für den internationalen Austausch. Kurz zusammengefasst heißt das: Wir sind aktiv auf institutioneller, inhaltlicher, politischer und lokaler Ebene. Passt Nachhaltigkeit damit zusammen, international unterwegs zu sein? Zugespitzt gefragt: Darf man denn noch fliegen? Die Evangelische Hochschule plädiert für verantwortungsvolles, nachhaltiges, sogenanntes „grünes“ Reisen, wo es möglich ist, also zum Beispiel per Zug. Hierfür kann es eine pauschale Förde- rung durch Erasmusgelder geben. Aber uns ist auch klar, dass interkontinentale Ziele nicht – oder zumindest nicht in der verfügbaren Zeit – „grün“ erreichbar sind. Also ganz ohne Fliegen geht es nicht. Deshalb kommunizieren wir mög- lichst oft digital und vernetzen uns auch auf diesemWeg. Schlägt Ihr Herz immer noch für Brasilien? Und wie! Ganz besonders habe ich mich gefreut, als nach mehr als zwei Jahren im Juni 2022 zum ersten Mal wieder eine Studiengruppe aus Brasilien zu Gast an der Hochschule war. Die Incomings trafen unsere regulären Studierenden und haben sich als Peers gegenseitig entdeckt. Und ebenso kamen Hochschullehrende zusammen. So etwas bringt neue Energie, es öffnet inhaltlich neue Türen, um sich für eine globale Solidarität zu engagieren. Die brasilianischen Studierenden haben von ihren Erfahrungen mit sozialer Begleitung von Jugendlichen in Slums berichtet. Diese Momente sind es, die Perspektiven öffnen. Christine Hohlbaum 3 1 Vertrautes Terrain verlassen – neue Perspektiven eröffnen
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