ev.olve - 02/2022
Herr Oesselmann, was haben Sie aus Ihrer Zeit in Brasilien mitgenommen? Für mich war es ein großer Sprung: 1987 bin ich aus dem beschaulichen Marburg, wo ich studiert habe, nach São Paulo gezogen, in eine Großstadt mit etwa 20 Millionen Einwohnern. Bra- silien hat mich grundlegend verändert. Wenn ich Portugiesisch spreche, habe ich eine ganz andere Körpersprache, gestikuliere viel. Aber vor allem habe ich meinen Umgang mit Unbekanntem, Ungewohntem verändert. Ich nehme Unterschiede wahr, wie gutes Leben gelebt und interpretiert wird. Ich lasse sie auf mich wirken und versuche, sie nicht abzuwehren oder abzuwerten. Ich möchte die Hintergründe verstehen. Ich sehe mich als Brückenbauer zwischen verschiedenen Kulturen. Das ist auch für meine Arbeit alsWissenschaftler entscheidend. Die Hintergründe verstehen, also den Horizont erweitern – wofür ist das wichtig? Internationalisierung öffnet Perspekti- ven: für Menschen wie für Institutionen. Wir verlassen dabei vertrautes Terrain. Die nigerianische Schriftstellerin Chi- mamanda Ngozi Adichie warnt vor „the danger of a single story“. Wir brauchen also Diversität: als Perspektive auf die Realität und als Handlungsorientierung. Ich bin überzeugt, dass internationaler Austausch, internationale Begegnun- gen – ob in Freiburg oder irgendwo anders auf derWelt – hierfür sehr gute Bedingungen schaffen. 17 Jahre leben und arbeiten in Brasilien: Das hat Dirk Oesselmann geprägt. Er ist seit 2005 Professor für Theologie mit Schwerpunkt Gemeindepäda- gogik – und inzwischen auch Beauftragter für Internationalisierung an der Evangelischen Hochschule Freiburg. Er weiß, wie wichtig internationale Begegnungen sind. Sie sind seit über zwei Jahren Be- auftragter für Internationalisierung an der Hochschule. Wo stehen Sie inzwischen, was ist neu? Internationalisierung ist seit 2005 ein zentrales Element der Hochschulent- wicklung. Seit vielen Jahren haben wir vor allem europaweit mehr als 20 Kooperationen mit Hochschulen. Das ist für eine kleine Hochschule wie unsere eine vergleichsweise hohe Anzahl. Die Zusammenarbeit mit vielen Hoch- schulen ist lange gewachsen und stabil. Schwerpunkte der Kooperationen liegen in Europa, aber auch in Brasilien. Und es kommen auch neue hinzu: Im Jahr 2022 haben wir die ersten Schritte für eine Kooperation mit der University of Iowa, USA, auf denWeg gebracht. Dabei soll es um Fragen zu Menschenrechtspäda- gogik, Antisemitismusprävention und der Gestaltung einer humanen demo- kratischen Zivilgesellschaft gehen. Ko- operationen im Bereich Lehre und For- schung umfassen, dass Studierende und Hochschullehrende mobil unterwegs sind. Als Ergänzung bieten natürlich digitale Medien eine großartige Chance, Kontakte vor- und nachzubereiten und sie auch langfristig zu unterhalten. Die Mehrzahl unserer Hochschulko- operationen hat zum Ziel, Studierenden Auslandssemester zu ermöglichen, ob in Oslo, Warschau, Sevilla oder auch in Belém in Brasilien. Und umgekehrt kom- men Studierende aus allerWelt zu uns nach Freiburg. Zentral ist dafür das neue Studienangebot „Building transformative and sustainable societies“ in englischer Sprache, das es imWintersemester 2022/23 zum ersten Mal gibt. 2 9 Vertrautes Terrain verlassen – neue Perspektiven eröffnen
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