ev.olve - 02/2022

A: Na ja, was wem wann Sinn macht, ist ja nicht von Sorge­ arbeit allein abhängig. Fragen Sie mal Klinikmitarbeitende nach dem Sinn von Schichtdiensten. B: Aber da sind doch Caritas, Diakonie und Co. voll gefragt und in ihrem Element. A: Könnte sein. Ein Heimspiel hat die klassische Sozialwirt­ schaft aber nur, wenn sie beweist, en gros bessere Arbeitgebe­ rin zu sein als beispielsweise diejenige gewerbliche Industrie, die weiterhin das macht, was sie vorher machte, nun aber die­ se geschickt mit PurposeAnsätzen kombiniert. Und diese Er­ weiterung „… mit Sinn“ wird nach und nach alle Bereiche der Industrie erfassen. Das ist aber nur ein Übergang. Wie wir auf das Danach reagieren, wird entscheidend. Wenn wir alle Pech haben, machen wir also als Gewohnheitstiere, die wir nun mal sind, so weiter wie bisher, nur dass die Modernisierungsver­ lierer*innen ökonomisch und politisch noch uninteressanter werden, sodass die Sorge um diese Menschen auch immer we­ niger Ressourcen bekommt, weil der Industrieumbau schon viele Investitionen und Förderungen verschlingt. Wenn es aber gut läuft, werden die Krisen so lebensverändernd stark, dass wir endlich aufhören, irgendeinen unnützen Sch… zu produ­ zieren – und was anderes arbeiten. B: Sorgeberufe müssen also irgendwie … „industrieller“ wer­ den? Nee, anders, also anstelle der Industrie treten, deren Me­ thoden nachmachen? A: Wenn Sie damit meinen, anpassungsfähiger, beweglicher, schneller, more connected, sektorenüberschreitend und auch letztlich nicht so „weltanschaulich“ zu sein, dann ein klares Ja. B: Wieso nicht so weltanschaulich? Aber das ist doch in der Regel der Markenkern! A: Aber einer, der dann nicht mehr zieht, wenn sich hinter der Intrinsik Ausbeutung verbirgt. Oder hinter der Moral Hybris und Macht. Oder hinter der Weltanschauung Dogma und Be­ vormundung. Zu denken, dass die im Sozialen gängigen Werte ewig sind und für sich sprechen, ist wie die Hoffnung, der ge­ bratene Vogel oder Tofu flöge mir direkt in den Mund. Erstens ist es meiner Meinung nach reichlich systemegozentrisch ar­ gumentiert, wenn Sinn in der Arbeit mit der Organisation von Hilfe für Menschen gleichgesetzt wird. Für Einzelne kann das ja gerne zutreffen, ist aber auch wieder eine Verkennung der Ausgangslage: Sinnsuchen gibt es überall, in allen Branchen, auf allen Lohnund Gehaltsstufen. Es ist eine Frage, sagen wir, des Vorlebens. Wer mit Werten hantiert, spielt mit der schwersten und wirkmächtigsten Wäh­ rung in Beziehungen überhaupt. In Arbeitsprozessen kann man viel ändern und die Menschen geben wahnsinnig viel an Lebensqualität auf, aber nicht die eigenen Werte. Man kann sich anpassen. Aber das geschieht nur sehr langsam. Meis­ tens suchen Menschen nach etwas in der Arbeit, was Arbeit­ gebende nicht interessiert und auch nicht erfragen. Die haben ihre Schablone – Stellenpläne, Profile – und damit den ent­ scheidenden Fehler schon gemacht. Die Kunst ist doch für mich als Arbeitgeber*in, die Werte mei­ ner Marke nicht als alles beherrschend und unabänderlich zu verkaufen und Unterwerfung zu verlangen; die Nachfrage hier­ zu ist selbst für die größten Arbeitgeberinnen in Deutschland 4 wie Caritas und Diakonie echt schmal, zu schmal, um eine sta­ bile Sozialwirtschaft zu betreiben oder gar auszubauen. Das sieht man an den Kirchenaustritten. Die abstrakten Werte der Marke reichen nicht mehr, die werden ja teilweise krass unter­ laufen. Die Arbeitsbedingungen zahlen auf dasselbe Problem ein: Wenn schon die Rahmenbedingungen meiner Arbeit (vor allem Zeitohnmacht) mein Leben vollends „kolonialisieren“, soll ich das dann auch noch in Sachen Werte und Sinne zulassen? Die Nachfrage ist umso größer, je mehr es mir gelingt, den Werten, mit denen die Menschen schon ausgestattet sind und die mich als Arbeitgebenden ansprechen, eine sinnstiftende Heimat zu geben, diese aufzunehmen. Und ich bin sicher, es sind dieje­ nigen langfristig erfolgreicher, die es zulassen, dass mit jeder Neueinstellung das Wertegefüge in der Arbeitswelt sich durch Anpassung verändert, so wie auch die Arbeitswelt die indivi­ duelle Wertewelt sozialisiert. 5 Das wäre Diversity Management zu Ende gedacht. Haben viele Unternehmen bis heute nicht be­ griffen, wenn Sie mich fragen … B: Aber dann sind ja Sorgeberufe und deren typische Arbeits­ bedingungen imVergleich zu den traditionellen Industrieberu­ fen gar nicht so unähnlich. Wenn man mal von der Wertschöp­ fung und den möglichen Gehältern absieht … Wo Organisationsgrad und Widerständigkeit höher sind, werden auch stabilere, ev.olve 2 6

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