ev.olve - 02/2022

A: Einverstanden, Sie haben ganz recht. „Nachhaltigkeit“ ist vor allem eine Art Konsumschaustellerei geworden oder öko­ logischer Ablass. Aber der Befund bleibt. Wir schaden der Um­ welt nicht nur durch die Art des Wegwerfkonsumierens oder der Überflüssig-Produktion, sondern bereits durch unsere Zeit­ ungleichheiten. Wir haben es während der Pandemie und den Homeoffices doch gesehen! Je eiliger wir es haben, an die Ar­ beit und wieder nach Hause zu kommen, desto mehr nutzen wir das Auto statt des Busses. Je weniger Zeit wir zum Kochen und Essen haben, desto mehr konsumieren wir energieintensive, industriell verarbeitete Lebensmittel und Fertiggerichte, deren industrieller Grundprodukteanbau zudem noch ganze Land­ striche zerstört. Es bleibt also festzuhalten: Zeit ist ein Fak­ tor, der in der Wachstumsökonomie eine ebenso wichtige Rolle spielt wie andere natürliche Ressourcen. Mit der gleichen Un­ gleichverteilung und also ähnlichen Benachteiligungseffekten. Im Homeoffice gelang es, die Hoheit über die Gesamtgleichung ein Stück weit zurückzugewinnen. Viele interessierten sich so­ gar wieder fürs Kochen! Und sofort bedauerten alle Chefs, die man befragte, dass die Bindung zum Unternehmen verloren ginge. Das war verräterisch, denn Bindung ist eine emotionale Kategorie, bei der ich unsicher bin, ob sie von räumlicher Dis­ tanz beeinflusst wird. Nein, es ging um die Aufrechterhaltung der Anwesenheitskultur als Kontrollmittel. Herrschaft über Aufwand und Ertrag. Die meisten Mitarbeitenden waren da in der Regel aber schon weiter und haben beides besser steuern können. 3 B: Aber dieselben sitzen Wochen später dann im Urlaub im Billigflieger nach Malle! Da ist die schöne Kohlenstoff- effizienzrechnung doch schnell wieder imMinus. Also wirklich. So ganz stimmt ihr Bild nicht. A: Doch, wenn man begreift, dass auch die Art des Urlaubens längst Konsumschaustellerei und nicht primär Erholung von der Arbeit ist. Wäre sie das, wäre sie eine Art diskrete Umver­ teilung, quasi die Wiedergutmachung für die Zeitausbeutung Die Art des Urlaubens ist längst Konsumschaustellerei. in den Arbeitswochen davor. Dann müssten wir den Wechsel von Arbeit und Urlaub aber ganz anders dimensionieren und organisieren. B: Also gut, nehmen wir an, mit größerer Zeitsouveränität gewinnen wir mehr von dem zurück, was wir durch schlechte Arbeit verloren haben und ökologisch noch ertragen können. Aber wie löst das jetzt Gerechtigkeitskonflikte? A: Die Krise des Wachstums ist die Krise der Arbeit, genauer der industriellen Arbeit. Wenn wir den Menschen Freiräume geben, um Alternativen für sich zu schaffen – zur oder in der Arbeitswelt, schaffen wir Muster, derer man sich in der fort­ schreitenden Krise bedienen kann, um wegzukommen vom Ungleichheitstreiber Nr. 1 – dem Statuskonsum. B: Und warum sollten Arbeitgebende überhaupt diese Freiräu­ me gewähren? A: Weil sich in Fachkräftemangelzeiten die Vorzeichen um­ kehren, Arbeitnehmer*innen wechseln von der Käufer in die Anbieterrolle. Es sind nun die Arbeitgebenden, die sich verkaufen müssen. Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig – und hat übrigens schon längst angefangen. In die Unternehmensleitbilder – oder sei es auch erst mal nur im Marketing – ziehen gerade Begriffe wie PurposeStrategie oder SinnÖkonomie ein. Man verspricht den Menschen, ih­ nen wenigstens keine stumpfsinnige, sinnentleerte Arbeit mehr anzubieten. Denken sie an die vielen Ökolabels in der Kleidungsindustrie. Oder erst in der Lebensmittelindustrie. Jetzt produzieren wir eben Rucksäcke aus Meeresplastik oder Hoodies aus Bambus. Das ist Textilindustrie mit Sinn. Aber immer noch Textilindustrie. B: SinnÖkonomie: Ist das nicht die Rettung für die Sorgeberu­ fe? Endlich werden sie als Arbeitgebende gefragt, weil sie Sinn machen? 2 5 Die große Transformation

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