ev.olve - 01/2022

Ein anderes Beispiel sind Studierende, die sich das wissenschaftliche Schrei- ben und Denken nicht zutrauen oder skeptisch sind und dann – im Umgang mit Texten oder in der Diskussion – für sich darin doch eine Relevanz erkennen. Das hat sicher viel mit Ihnen zu tun und damit, dass Sie selbst von Wissenschaft und zukunftsfähigen Konzepten für Soziale Arbeit so be- geistert sind? SE— Das hoffe ich! (lacht) Was muss man noch können, um diesen Job zu meistern? SE— Lehre bringt immer ein hohes Adrenalin-Level mit sich. Wir sind jeden Tag mit unserer ganzen Persönlichkeit gefordert. An der HAW gilt das vielleicht noch mehr als an der Uni, weil wir durch unsere Praxiskompetenz immer auch berufliche Vorbilder sein können. Gleich- zeitig müssen wir auch mal intervenie- ren, irritieren und das richtige Maß an Humor finden. Vor allem aber tragen wir dazu bei, dass Studierende erkennen, was die Themen auf dem Lehrplan mit ihnen selbst zu tun haben. Dabei er- sparen wir niemandem, selbstständig zu denken. Die Studierenden setzen sich ab den erstenWochen ihres Studiums mit einer Vielzahl an Vorlesungen, Texten und Aufgaben auseinander. Aber wir sind da – coachend, begleitend, mit Anregun- gen, Materialien, Hilfestellungen und mit didaktisch fundierten Konzepten, damit Studierende in der Auseinandersetzung wachsen und ihrenWeg finden können. Durch unser hohes Betreuungsverhält- nis von eins zu 25 können wir das auch leisten. Hätten Sie zu Beginn Ihres Studiums gedacht, dass Sie selbst mal Professo- rin sein würden? SE— Nein, und ich glaube, dass zu Be- ginn des Studiums fast niemand dieses Ziel vor Augen hat. Aber es gab bei mir diesen einen Moment, als ich eines meiner ersten Referate im Studium hielt und merkte: Es macht mir unglaublich Spaß, es so aufzubereiten, dass die Mitstudierenden anknüpfen, diskutieren und kritisch hinterfragen können – eben keine reineWissensvermittlung! Eine Kommilitonin sagte dann: „Steffi, ich sehe dich mal als Professorin.“ Da bin ich erschrocken, weil das mit meinem Bild von mir selbst als angehender Sozialarbeiterin nicht zusammenpasste. Doch von da an war die Idee gesetzt, dass ich – als Frau, als angehende Sozialarbeiterin und als HAW-Studentin – diese Option ja wirklich habe. Wie kam es, dass der Wunsch größer wurde? SE— Ich bin nach meiner Diplomarbeit erst einmal in die Praxis gegangen und war im Leitungsteam eines Bildungs- zentrums für ältere Menschen. Parallel dazu studierte ich einen Masterstudien- gang Soziale Arbeit, denn für mich war immer klar, dass gute Praxisentwicklung gute Theorie braucht. Dann wurde ich Forschungskoordinatorin an der Katholischen Hochschule Freiburg und konnte weiterhin einerseits Forschung mit Theorie verbinden, andererseits ganz praktisch und aktiv in der kommunalen und quartiersorientierten Arbeit Prozes- se mitgestalten. Ich stieg dann in die Lehre ein und übernahm zwei Jahre lang eine Vertretungsprofessur. Spätestens da war für mich klar, dass es das ist, wofür ich brenne: In der Lehre zu ver- binden, wie wir forschen und arbeiten, und Studierende dadurch auf ihrenWeg zu bringen. Als HAW-Absolventin ist der Weg in die Promotion natürlich nicht so leicht vorgezeichnet. Es passiert schnell, dass man entweder in der Praxis oder in Forschungsprojekten irgendwie hängen- bleibt, denn beides ist sehr arbeitsinten- siv. Es gibt den Spruch, man sei da oft „too busy to think“. Was hat geholfen? SE— Erstens fiel die Promotion mit der Erziehungszeit meines Sohnes zusammen. Mit seiner Geburt kam für mich der klare Entschluss, mich nicht treiben zu lassen, sondern meine Ziele jetzt anzugehen. Zweitens ein kooperatives Promotionskolleg, das die EH Freiburg zusammen mit den anderen Freiburger Hochschulen und der Universität Freiburg auf die Beine gestellt hatte. Es richtete sich gezielt an HAW-Absolvent*innen und war mit einem Stipendium verbunden. Das war für mich die größte Unterstützung, denn so war ich finanziell abgesichert, konnte Familie und Promotion verbinden und drei Jahre lang aus dem Alltag zurück- treten. Ich mag diese Momente: Wenn Reflexionspausen entstehen und man aus einer ganz anderenWarte heraus auf das schauen kann, was man tut. Das hat mir sehr geholfen. Gab es etwas, das Sie in Ihrer Lauf- bahn zur Professorin überrascht hat? SE— Vielleicht, dass immer zur richtigen Zeit die richtige Tür aufging. So war zum Beispiel direkt nach meiner Promotion hier an der EH Freiburg eine Professur fürWissenschaft Soziale Arbeit aus- geschrieben, die ich besetzen konnte. Allerdings hingen solche „Zufälle“ in meinemWerdegang auch damit zu- sammen, dass ich die ganze Zeit über Kontakte hielt: in die Praxis und an den Hochschulen zu Forschungskolleg*in- nen. Das tue ich übrigens bis heute. Ich habe mich jahrelang noch bei meinem alten Arbeitgeber ehrenamtlich als Vor- standsvorsitzende engagiert. Und ich hatte zu jedem Zeitpunkt einen Plan B in der Tasche: zum Beispiel meinen Radius zu erweitern, mich weiter weg auf eine Professur zu bewerben oder insWeiter- bildungsmanagement zu gehen. Jetzt sind Sie Prorektorin für Lehre an der EH Freiburg – ein Amt, das 2021 erst neu eingerichtet wurde. Wie kam es dazu? SE— Bis dahin gab es an der EH Freiburg zwar ein Prorektorat für For- schung und Transfer, aber die Aufgaben in der Lehre wurden über eine Beauf- tragung geregelt. Meine jetzige Funktion wurde entwickelt, um der Lehre einen höheren Stellenwert zu geben. Das gilt sowohl nach innen als auch nach außen: Mit dem Prorektorat können wir anders in politischen Gremien auf Landesebene mitwirken. Und für die Kolleg*innen in der Hochschule ist es ein Symbol und eineWertschätzung dessen, dass wir die Lehre auf sehr hohem Niveau betrei- ben und uns an den Diskursen mit den anderen HAW im Land beteiligen. Außerdem ist das Prorektorat mit dem Ziel verbunden, die Qualität unserer Leh- re noch stärker zu systematisieren. Was sind die ersten Schritte? SE— 2021 haben wir ein Qualitätshand- buch für Lehre entwickelt: Wo stehen wir?Welche Instrumente wenden wir schon an?Wo wollen wir hin? Jetzt geht es darum, das zu operationalisieren, also qualitätsfördernde Varianten und Strukturen für gute Lehre zu schaffen. Wir arbeiten zum Beispiel an aussage- kräftigen Kennzahlen und wollen noch stärker in den Dialog gehen darüber, was unser gemeinsames Verständnis von guter Lehre ist und was es braucht, um Lehre weiterzuentwickeln. Und dann gab es noch kaum eine Zeit, in der Lehre so stark nach Innovationen gesucht hat wie jetzt nach den „Corona-Semestern“. Viele Kolleg*innen haben in der digitalen Lehre sehr schnell sehr viel Gutes auf die Beine gestellt. Wir haben gelernt, wie synchrone und asynchrone On- linelehre gestaltet werden kann und welche Tools und Methoden es gibt, um Interaktion sicherzustellen. Wir waren aber alle auch froh, schließlich wieder in Präsenz lehren zu dürfen. Jetzt wollen wir gemeinsam herausfinden, wie wir den Lerneffekt sichern und was wir als neue Lernformate für die Studierenden beibehalten wollen. Denn in der Lehre geht es immer darum, einen wachen Blick für neue Methoden und Didaktik zu haben. Das Prorektorat für Lehre kann hierfür ein Beitrag sein, auch im Sinne von Fort- und Weiterbildung. × Rebekka Sommer „Ich mag diese Momente: Wenn Reflexionspausen entstehen ...“ ev.olve 2 2 2 3 Stefanie Engler

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