ev.olve - 01/2022

Frau Engler, gibt es in Ihrer Berufsbio- grafie einen roten Faden? SE— Ja, rückblickend ist es die Lehre. Oder eigentlich steht noch ein grö- ßeres Thema dahinter: Wie kann ich Bildungsprozesse so gestalten, dass sie Menschen wirklich erreichen? Ich bin über verschiedene berufliche Stationen hinweg immer wieder auf diese Frage zurückgekommen. Dabei sind mir die unterschiedlichsten Lern-Zielgruppen begegnet. Es begeistert mich, Lern- möglichkeiten so zu gestalten, dass Menschen wirklich etwas für sich mit- nehmen können. Denn dann entfaltet Bildung gesellschaftlicheWirkung. Mit welchen Lern-Zielgruppen haben Sie bis jetzt gearbeitet? SE— In meinem ersten Praxissemester als Sozialarbeitsstudentin habe ich zum Beispiel Bildungsarbeit mit älteren Menschen gemacht. Sie lernen meist freiwillig, sind interessiert, suchen den Austausch und wollen an das anknüp- fen, was sie erlebt haben. Wenig später arbeitete ich mit langzeitarbeitslosen Jugendlichen. Da galt es, ganz basale Dinge zu vermitteln: Dreisatz, Alpha- betisierung, Bewerbungstraining. Und dies mit einer Zielgruppe, die eben nicht freiwillig lernt, sondern vom Jobcenter oder der Agentur für Arbeit dazu ver- pflichtet wurde. In den letzten Jahren habe ich unter anderem im Rahmen von Weiterbildungen die Sachbearbeiter*in- nen einer Krankenkasse darin geschult, wie sie ihre Telefonberatung stärker am Menschen ausrichten können. Das sind nur drei Beispiele für sehr unterschied- liche Lern-Zielgruppen, mit denen ich arbeiten durfte. In erster Linie sind das Stefanie Engler ist Prorektorin für Lehre an der EH Freiburg. Wie kam sie an die Hochschule?Welche Hürden gab es in ihrer wissenschaftlichen Karriere? Und was begeistert sie an der Hochschullehre? natürlich Studierende im Rahmen der Hochschullehre! Was macht Spaß an Hochschullehre? SE— Die Besonderheit der Hochschulen für AngewandteWissenschaften (HAW) in den Fächern im Sozial- und Gesund- heitsbereich ist ja, dass wir nicht nur Wissen und Handwerkszeug vermitteln, sondern immer auch an den Fragen der persönlichen Haltung arbeiten. Das heißt, ich kann Menschen in der Entwicklung ihrer beruflichen Identität begleiten. Ich sehe vom ersten bis zum letzten Semester, wie sich Studierende entwickeln, ihrenWeg finden, zwischen- durch stolpern, aufstehen, nach dem Sinn des Ganzen suchen, durch die Pra- xis neue Impulse kriegen – und so formt sich eine professionelle Identität als Sozialarbeiter*in. Wenn ich dann meine ehemaligen Studierenden später in der Praxis erlebe oder in Forschungsprojek- ten wieder mit ihnen zusammenarbeite, sind das Momente, in denen ich genau weiß, warum ich tue, was ich tue. Haben Sie ein Beispiel? SE— Es gibt die unterschiedlichsten Motive für ein Studium. Doch die Allerwenigsten interessieren sich zu Beginn ihres Studiums für die Arbeit mit älteren Menschen. Sondern meist ist die Vorstellung: „Ich mache mal was mit Kindern und Jugendlichen.“ Für mich – alsWissenschaftlerin, die viel zur Lebensphase des Alters forscht – ist es immer besonders toll, wenn Studieren- de dieses bunte, vielseitige Arbeitsfeld für sich entdecken und zum Beispiel ein Praxissemester machen, auf das sie sonst nie gekommen wären. Gute Lehre heißt: fürWissenschaft begeistern Ein Gespräch mit Prof.in Dr.in Stefanie Engler ev.olve 2 0 2 1 Stefanie Engler

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