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Jugendliche sehen sich von Politik nicht gehört

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Prof.in Dr.in Isabelle Ihring; Foto: privat

Seit knapp zwei Jahren leben Menschen mit der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Diese bringen Einschränkungen des täglichen Lebens mit sich und gelten grundsätzlich für alle Menschen in gleicher Weise. „Doch sie bringen je nach individueller Lebenslage unterschiedliche Härten mit sich“, stellt Prof.in Dr.in Isabelle Ihring fest.

Die Professorin für Jugend und Soziale Arbeit hat mit Studierenden im forschungsbetonten Master-Studiengang Soziale Arbeit untersucht, wie Jugendliche und junge Erwachsene mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zurechtkommen. Im ersten Halbjahr 2021 führte Ihring hierzu gemeinsam mit sechs Einrichtungen der (offenen) Kinder- und Jugendhilfe in Freiburg eine Befragung unter jungen Menschen durch.

Je nach Lebenssituation und Lebensbedingungen sind Menschen und Menschengruppen unterschiedlich schwer von den Maßnahmen betroffen. Dies gilt auch für die sehr heterogene Gruppe der Kinder und Jugendlichen, die je nach sozioökonomischer Situation ihrer Herkunftsfamilie die Corona-Maßnahmen besser oder schlechter kompensieren kann.

Ihring: „Familien, die bereits vor der Pandemie unter den Folgen sozialer Ungleichheit gelitten haben, brauchen besondere Unterstützung, um ihr Leben unter coronabedingten Einschränkungen meistern zu können.“ Dies betrifft insbesondere den Lebensbereich Schule, vor allem Homeschooling mit Eltern, die gleichzeitg berufstätig sind.

Auch Mitarbeitende in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen setzten sich mit der Frage auseinander, wie ihre Adressat*innen die Corona-Maßnahmen bewältigen können, vor allem in den Phasen, in denen selbst Jugendhäuser geschlossen werden mussten und kaum bis keinen Kontakt zu ihren jungen Nutzer*innen möglich war.

Professorin Ihring hatte daher bereits 2020 beschlossen – gemeinsam mit Mitarbeitenden aus drei Freiburger Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen – mitten im Lockdown jungen Menschen online das Angebot zu machen, sich zu ihrem Befinden zu äußern.

„Nachdem diese erste Befragung gut angenommen wurde, entschieden wir, die Studie auszuweiten und mit jungen Menschen Interviews zu führen“, so Isabelle Ihring. Gemeinsam mit den Master-Studierenden hat sie einen Fragebogen mit Leitfragen entwickelt, der sechs Themenblöcke fokussierte: Familie, Freundschaften, Freizeit, Angebote der Sozialen Arbeit, Wohlbefinden und Wünsche an Politiker*innen.

Die Interviews wurden im Team ausgewertet mit dem Ziel, aus den Antworten Impulse abzuleiten, was Soziale Arbeit und Sozialarbeitende an Strukturen oder Angeboten bereitstellen sollten, um die jungen Menschen in diesen herausfordernden Zeiten zu unterstützen.

Einige der befragten Jugendlichen gaben schon in der vorab geschalteten Online-Befragung an, dass sie es zwar positiv fänden, dass Sozialarbeitende eine solche Befragung initiierten, sie es aber ebenso wichtig fänden, auf politischer Ebene gehört zu werden. Ihring: „Dieser Wunsch war für uns nachvollziehbar. Wir haben daher die ersten Forschungsergebnisse zur Studie im Oktober 2021 an die Fraktionen des Freiburger Gemeinderats gegeben – ebenso auch an die bezeiligten Einrichtungen. Daraufhin wurde ich in den Kinder- und Jugendhilfeausschuss der Stadt eingeladen, um Fragen zum Bericht zu beantworten.“

In den Befragungen machten die Jugendlichen vor allem deutlich, dass sie sich besonders in Entscheidungen um die coronabedingte Organisation von Schule nicht ausreichend gehört sahen. „Das ist ein Ergebnis, das sich auch mit anderen, groß angelegten Studien deckt“, ergänzt Ihring. Einer der befragten Jugendlichen fasste seinen Eindruck so zusammen: „Aber da sitzen halt nur so solche vierzig, fünfzig Jährigen –nicht böse gemeint– die aber dann halt nicht mehr verstehen, was wir wollen. Weil als die jugendlich waren, das ist halt schon wieder viel zu lange her, damit sie uns nachvollziehen können.“

Ebenso wurde deutlich, dass Jugendliche, die beengt wohnen und kaum räumliche Ausweichmöglichkeiten haben oder die über geringe finanzielle Ressourcen verfügen, stärker unter den Corona-Maßnahmen litten als andere junge Menschen, die bei diesen Lebensbedingungen besser gestellt sind. Besonders deutlich wurde dies auch wieder im Bereich Schule, insbesondere im Kontext des langanhaltenden Homeschooling und dem darauf folgenden Wechselunterricht, in dem eine ruhige Lernumgebung und die nötige technische Ausstattung nicht allen jungen Menschengleichermaßen zur Verfügung stand.

Professorin Ihring: „Nicht zuletzt ist meiner Studierendengruppe und mir deutlich geworden, dass sich die große Mehrheit der Befragten an die Corona-Maßnahmen gehalten hat – ebenfalls ein Ergebnis, das sich mit anderen Studien deckt und im Gegensatz zu teils sehr pauschalen medialen Darstellungen junger Menschen als „Regelbrecher*innen“ steht.“

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